Kirchheim
Saloniker swingen ins neue Jahr

Neujahrskonzert Das Ensemble um Kapellmeister Patrick Siben überzeugt das Publikum in der Kirchheimer Stadthalle mit einem musikalischen Spektakel. Von Hans-Günther Driess

Mit einer beeindruckenden Programmvielfalt und ansteckender Fröhlichkeit riss Kapellmeister Patrick Siben mit seinen Musikern das Publikum in der vollbesetzten Kirchheimer Stadthalle fast von den Stühlen. Charmant und witzig moderierte er das Neujahrskonzert, das einen Bogen spannte von der Operette und Walzerklängen zu Ragtime und Swing.

Der besondere Saloniker-Sound vereint solistisch-luftige Nuanciertheit und orchestrale Klangfülle, nicht zuletzt trägt das „unplugged“- Prinzip dazu bei, dass das Konzert zu einem außergewöhnlichen Erlebnis wird. Welch ein schwungvoll-heiterer Auftakt ins „Neue Jahr“, welch ein musikalisches Spektakel auf hohem Niveau!

Schon der schneidige Beginn mit der „Fledermaus-Ouvertüre“ von Johann Strauß lässt aufhorchen. Spieltechnisch brillant, im exakten Zusammenspiel und mit differenzierter Gestaltung in Dynamik und Ausdruck spielen sie auf, die neun Musiker, die sich auch in zahlreichen Solopassagen als Virtuosen präsentieren.

Die Solovioline von Walter Toews schwingt sich geschmeidig in die Höhe, lässt die Töne perlen in lupenreiner Intonation bis in höchste Lagen, Laszlo Papesch und Carelys Camorredondo bestechen in lyrischen Soli mit dem feinen Klang ihrer Klarinetten.

An der schönen blauen Donau

Der bisweilen symphonisch wirkende Klang des Ensembles mag manche Zuhörer an das traditionelle Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker erinnern, das alljährlich am 1. Januar in alle Welt übertragen wird. Dies gilt vor allem für den berühmtesten aller Walzer „An der schönen blauen Donau“ von Johann Strauß. Während Burkhard Wolf am Violoncello wunderschön das Hauptthema intoniert, erheitert der Zwischenruf des Maestros Patrick Siben „Damenwahl!“ das Auditorium. Zumindest mental tanzen alle mit.

Die Frage, ob man infolge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine keine russische Musik mehr aufführen sollte, verneint Siben mit Recht: „Sie ist unverzichtbar in unserem europäischen Kulturhaus. Was Russland zu bieten hat, zeigt die großartige Komposition ‚Eisblumen – Russische Zigeunerlieder‘ von Rob Leuschner, die vor 120 Jahren entstanden ist“. Melancholische Melodien und feurige Tänze spiegeln tiefes Leid und euphorische Freud. Das Kaleidoskop der Klangfarben wird befruchtet vom exzellenten Trompetenspiel des Kirchheimer Musikpädagogen Daniel Bucher, und die herausragende Cellistin Delphine Henriet verzaubert in ihrem Solo mit lange ausschwingenden Melodiebögen und warmem Klang. Ein Kunststück vollbringt sie mit dem fliegenden Wechsel zu ihrer Querflöte, der sie glockenklare höchste Töne entlockt, während der 1. Violinist gemäß kammermusikalischer Attitüde als Dirigent mit Kopf und Bogen agiert.

Langeweile ist an diesem Abend Fehlanzeige, und als das Publikum nach der Pause von der „Marching Band“ mit „Oh When The Saints“ aus dem Foyer abgeholt und zurück in den Saal geleitet wird, kocht die Stimmung hoch.

Patrick Siben lässt in seiner Moderation die Zeit der Jahrhundertwende um 1900 lebendig werden. Wie in einem Film streift er Pferdekutschen, Industrialisierung, Ozeandampfer, das Einläuten der Epoche „Moderne“ und ordnet die Salonmusik dieser Zeit, „die Musik unserer Großväter und Urgroßmütter“ in diesen Kontext ein. Er ist ein guter Unterhalter. Folgerichtig erklingt „The Entertainer“ in einem sehr gelungenen Arrangement des Ragtime-Erfinders Scott Joplin aus dem Jahr 1899. Es ist schlichtweg mitreißend und genial, wie die Instrumentalisten sich hier Melodiefolgen zuwerfen und wie der versierte Kontrabassist Renger Woel de Rink mit seinem Instrument tanzt.

Big Band Sound

Im „King Porters Stomp“ von Jelly Roll Morton aus dem Jahr 1924 swingen die Saloniker im Big Band Sound, und in „Petersburger Schlittenfahrt“ aktiviert Siben das Publikum, indem er Schellenglocken verteilt, die je nach Geschwindigkeit im Schritt oder Trab der Pferde mitspielen. Den Galopp übernimmt Siben selbst, indem er von der Bühne springt und zwei Runden ums gesamte Auditorium rast. Der Impressionismus eines Claude Debussy darf nicht fehlen: Die Instrumente werden in „Golliwog‘s Cakewalk“ aus dem Jahr 1913 mit wechselnden Farbtupfern wie ein klingendes Mosaik eingesetzt.

Nachdem Kulturbürgermeisterin Christine Kullen dem Ensemble und Patrick Siben Dank und Bewunderung zollte, bereitet der „Radetzky-Marsch“ den begeisterten Zuhörerinnen und Zuhörern den fulminanten Ausklang im orchestralen Glanz.