Kirchheim
Schlaganfall: Die unauffällige „TIA“ ist nur scheinbar harmlos

Gesundheit  Ausfälle wie beim „richtigen“ Schlaganfall, aber schwer erkennbar: Dr. Uwe Mauz, Leiter der Neurologie an der Kirchheimer Medius-Klinik, erklärt die Gefahren der transitorisch-ischämischen Attacke. Von Thomas Zapp

Auf dem MRT ist auch für den Laien ein weißer Fleck im rechten Teil des Gehirns zu erkennen. „Daran kann man ziemlich genau erkennen, dass es zu einer Schwäche links gekommen ist“, sagt Dr. Uwe Mauz, Leiter der Neurologie an der Kirchheimer Medius-Klinik. Die Durchblutungsstörung ist erkannt, damit hat der Patient oder die Patientin schon einmal eine sehr gute Chance, die richtige Therapie zu bekommen. Und noch wichtiger: Weitere Schlaganfälle können vermieden werden.

 

„Nach dem 
Schlaganfall
ist vor dem Schlaganfall“
Dr. Uwe Mauz

 

Angelehnt an Trainerlegende Sepp-Herberger stellt Uwe Mauz fest: „Nach dem Schlaganfall ist vor dem Schlaganfall“ – ein kleiner Schlaganfall kündigt in gut einem Drittel der Fälle einen größeren an. Dazu kann auch eine sogenannte „transitorisch-ischämische Attacke“ gehören, kurz: TIA, die von den Betroffenen oft gar nicht ernst genommen wird, weil die Symptome im Gegensatz zu einem „richtigen“ Schlaganfall schnell wieder abklingen: Das flüchtige Taubheitsgefühl, die kurze Sehstörung oder die erstmals auftretende Schwindelattacke mit Gangstörung. Das kann auch häufig jüngere Menschen treffen. Und: Fast 20 Prozent der TIA-Patienten erleiden danach einen richtigen Schlaganfall, der zu einer schweren lebenslangen Behinderung führen kann. Jeder dritte Patient mit Schlaganfall ist anschließend hilfsbedürftig.

Informationskampagnen wie zum Beispiel der Weltschlaganfalltag am morgigen Freitag haben aber in den vergangenen Jahren für eine positive Entwicklung in der rechtzeitigen Entdeckung des Schlaganfalls geführt: Die Leute kommen früher in die Klinik, dadurch kann potenziell mehr Hirngewebe gerettet werden. Auch daher ist die Zahl der Schlaganfallpatientinnen und -patienten enorm gestiegen, früher wären viele dieser Fälle unentdeckt geblieben. „In den vergangenen 30 Jahren hat sich die Zahl der Schlaganfallpatienten verdoppelt“, sagt Uwe Mauz. Allein an der Medius-Klinik Kirchheim werden pro Jahr etwa 1000 Fälle behandelt. Im vergangenen Jahr hatte es wegen der Corona-Pandemie einen leichten Einbruch gegeben. Gerade bei leichten Symptomen seien viele eher zu Hause geblieben, erklärt der Chefarzt, der seit 2003 die Neurologie leitet.

Jede Minute zählt

Ein Schlaganfall ist in 80 Prozent der Fälle eine plötzliche Durchblutungsstörung des Gehirns, bei der ein Gerinnsel ein Blutgefäß verstopft. Die andere Ursache für einen Schlaganfall ist ein geplatztes Blutgefäß im Gehirn. Bei allen Schlaganfall-Patienten gilt: Je schneller ge- und behandelt wird, umso besser. Zu Beginn seiner Zeit im Kirchheimer Krankenhaus seien die Patienten oftmals erst nach zwei, drei Tagen gekommen. Das habe sich deutlich verbessert. „Unser Ziel ist es, spätestens 30 Minuten nach der Ankunft in der Notaufnahme mit der Gerinnselauflösung, also der Thrombolyse, zu beginnen, wenn eine Hirnblutung ausgeschlossen werden konnte“, erklärt Dr. Uwe Mauz. Die ersten viereinhalb Stunden sind die wichtigsten. Dabei stehen die Chancen nach einer Stunde bei eins zu drei und nach vier Stunden bei eins zu vierzehn, dass durch die schnelle Therapie der Patient weniger Behinderung hat als ohne. „Alle fünf Minuten sterben beim Hirninfarkt zwei Millionen Hirnzellen“, erklärt er. 

Dass der Schlaganfall weltweit als dritthäufigste Todesursache gilt, übrigens gleichermaßen bei Frauen wie Männern, hat auch mit dem Lebenswandel der Menschen zu tun. Stress, Rauchen, Übergewicht und zu salzhaltiges Essen führen zu Diabetes und Bluthochdruck. Vor allem Letzteres gehört zu den gefährlichen, weil oft unerkannten Risiken, dass „schlagartig“ eine Durchblutungsstörung des Gehirns einsetzt. „Ab 40 sollte jeder Mensch ein Blutdruckmessgerät haben und regelmäßig messen“, sagt Uwe Mauz, der auch Regionalbeauftragter der Deutschen Schlaganfall-Hilfe ist. 

Außerdem sei wichtig, bei plötzlich auftretenden, zuvor nicht gekannten Symptomen nicht zu lange zu zögern. Einseitige Taubheitsgefühle, Schwächen, Sprach-, Sprech- oder Sehstörungen oder plötzlicher Schwindel. ​​​​​ „Manche fragen sich dann: Lohnt sich der ganze Aufwand in ein Krankenhaus zu fahren?“, weiß Dr. Uwe Mauz. Denn der Schwabe nimmt ein „Schlägle“ nicht immer ernst. Aber aus der flüchtigen neurologischen Störung kann schnell ein bleibender Ausfall werden. Für falschen Alarm muss sich niemand schämen. „Wenn wir anhand der Symptome die Ursache ausschließen können, sind alle entspannt.“

 

Welt-Schlaganfalltag am 29. Oktober

 

Im Jahr 2006 wurde der Welt-Schlaganfalltag von der Welt-Schlaganfall-Organisation (WSO) ins Leben gerufen, um das öffentliche Bewusstsein für das Thema zu schärfen und über die Prävention von Schlaganfällen aufzuklären. Das Motto lautet in diesem Jahr: „Symptome verschwinden, Ursachen nicht“ und appelliert an die Menschen, vorübergehende Schlaganfall-Symptome einer transitorisch-ischämischen Attacke (TIA) ernst zu nehmen. Innerhalb von vier Wochen erleiden fast 20 Prozent der TIA-Patienten einen „richtigen“ Schlaganfall. Symptome sollte man daher immer abklären lassen, am besten in einer Klinik mit „Stroke Unit“, einer Schlaganfall-Spezialstation wie die Kirchheimer Medius-Klinik.

In Deutschand kommt es jedes Jahr zu knapp 200 000 neuen und rund 66 000 wiederholten Schlaganfällen. Nach Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist er die dritthäufigste Todesursache in Deutschland und die häufigste Ursache einer Behinderung. Auffallend ist der relative Anstieg in jüngeren Altersgruppen unter 70 Jahren. zap