Kirchheim

Schreib‘ doch mal wieder

Welttag Heute ist der „Tag des Tagebuchs“. Das klingt zwar nach verstaubter Nostalgie, die „Seelenhygiene“ ist aber in Form von Reisetagebüchern auch durchaus heute noch topaktuell. Von Andrea Barner

Das klassische Tagebuch ist zwar nicht mehr so modern wie früher, inzwischen gibt es allerdings zahlreiche andere Varianten wie
Das klassische Tagebuch ist zwar nicht mehr so modern wie früher, inzwischen gibt es allerdings zahlreiche andere Varianten wie beispielsweise das Reisetagebuch, das vor allem auch bei jüngeren Menschen gefragt ist. Symbolfoto/Günter Kahlert

Schon wieder so ein „Tag des Irgendwas“. Der Hintergrund des heutigen „Tag des Tagebuchs“ ist aber schnell erklärt: Es handelt sich beim 12. Juni um den Geburtstag von Anne Frank, die eines der bekanntesten Tagebücher der Welt geschrieben hat. Anlass genug, mal darüber nachzudenken, wer heutzutage eigentlich noch Tagebuch schreibt.

„Bis ich 20 war, hab ich viel Tagebuch geschrieben“, erinnert sich eine 85-jährige Kirchheimerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Aber ich erleb‘ ja jetzt nicht mehr viel, was soll ich also schreiben?“ Ihre alten Tagebücher jedenfalls hat sie irgendwann weggeworfen, denn „das interessiert meine Kinder und Enkel sowieso nicht.“ Doch dass sie sich da mal nicht täuscht. Viele Familienangehörige begeben sich häufig auf „Spurensuche“, und nicht zuletzt Historiker sind geradezu scharf auf alte Geschichten.

Im Alten Rathaus von Emmendingen bei Freiburg befindet sich sogar ein Tagebuchmuseum. Auch in Frankreich, Italien, den Niederlanden und England gibt es vergleichbare Einrichtungen. Und warum? Weil „Tagebücher“ wie „Zeitzeugen“ sind. Und wer kennt nicht dieses wundervolle Weißt-du-noch-Gefühl, mal wieder in alten Fotoalben zu blättern, Aufzeichnungen und Notizen wiederzuentdecken.

„Tagebuch“ klingt zwar irgendwie altmodisch, aber es gibt auch durchaus moderne Varianten davon: das Glückstagebuch zum Beispiel. Es hat etwas Meditatives, einmal am Tag in sich zu gehen, die schönen Momente oder Erfolge herauszupicken und zu erkennen: „So schlecht geht’s mir eigentlich gar nicht“. Oder das Tagebuch für Mütter mit Kindern, das vom ganz alltäglichen Wahnsinn handelt. Man kann halbe Romane schreiben, man kann aber auch nur Stichworte notieren. Sogar Sport könnte ein Thema sein fürs Fitness­tagebuch. Oder einfach nur ein Terminkalender, in dem die wichtigsten Ereignisse nachlesbar sind. Einige Tagebücher bieten sogar Fragen, Stichworte oder Lückentexte an, die ganz fix ausgefüllt sind.

Blogs sind immer beliebter

Im Kirchheimer Schreibwarengeschäft „Wall am Markt“ sagt Elke Osen: „Wir verkaufen vor allem Reisetagebücher.“ Dazu gibt es eine beachtliche Auswahl in verschiedenen Größen. Moderne Aufmachung, hübsch gestaltet, mal mit, mal ohne Vorhängeschloss. „Das nimmt man natürlich mit in den Urlaub.“ Sehr praktisch, dass extra Fächer vorhanden sind, in denen der oder die Reisende kleine Souvenirs unterbringen kann, Eintrittskarten zum Beispiel oder Ansichtskarten. „Und dann gehen ja auch viele junge Leute nach der Schule für einige Monate ins Ausland“, hat Elke Osen beobachtet, „die schreiben ebenfalls gerne ein Reisetagebuch.“

Alternativ dazu gibt’s natürlich So­cial Media und Reiseblogs. Vorteil: Man kann Fotos und Videos gleich mitposten. Nachteil: Im verborgensten Winkel des Urwalds oder im Gebirge gibt’s vielleicht keinen Internetanschluss oder Mobilfunk. Und: Der Schreiber wird sich hüten, sein Allerinnerstes weltweit auszubreiten. Ein gebundenes Tagebuch mit Vorhängeschlösschen, das ist in erster Linie ein Ego-Trip. Das schreibt man nur für sich selbst, das geht die Welt nichts an.

Der Tag soll aufmuntern

Dass das Tagebuch der Anne Frank ein internationaler Bestseller werden würde, das hat das Mädchen ganz sicher nicht geahnt. Es geht dabei übrigens nicht nur um das rot karierte Büchlein, das Anne zum 13. Geburtstag von ihrem Vater geschenkt bekam, sondern auch um eine umfangreiche Loseblatt-Sammlung, die erst Jahre nach ihrer Ermordung im Konzentrationslager Bergen-Belsen veröffentlicht wurde. Als Leitmotiv schrieb sie noch an jenem 12. Juni 1942 ganz vorne hinein: „Ich werde, hoffe ich, Dir alles anvertrauen können, wie ich es noch bei niemanden gekonnt habe, und ich hoffe, Du wirst mir eine große Stütze sein.“

Wer diesen „Tag des Tagebuchs“ ins Leben gerufen hat, ist nicht bekannt. Es ist nicht der einzige, von dem keiner so genau weiß, wie er zustande kam. Der Tag wird auch nicht mit großen Feiern „begangen“, er soll lediglich dazu ermuntern, wieder mal selbst Aufzeichnungen über das eigene Leben zu machen, Freude dabei zu empfinden oder sich den Frust von der Seele zu schreiben. Es müssen ja schließlich nicht gleich Hunderte von Seiten sein wie bei Anne Frank.