Kirchheim
Schwierige Suche: Das „Mismatch“ sorgt für Missmut

Wirtschaft Der Arbeitskräftemangel ist auch für Unternehmen aus Kirchheim und Umgebung ein Problem. Arbeitgeber sehen oft ein Problem in der fehlenden Motivation der Arbeitssuchenden. Von Thomas Zapp

Der Frust sitzt tief beim Geschäftsführer eines Kirchheimer Unternehmens, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. „Ich habe hier von der Agentur für Arbeit ein Schreiben auf dem Tisch liegen, in dem uns bestätigt wird, dass einem Klient das Angebot gemacht wurde, sich bei uns auf eine ausgeschriebene Stelle zu bewerben“, sagt er. Von diesen Mitteilungen hat die Firma nach Aussagen des Geschäftsführers etwa 30 weitere von der Agentur erhalten. „Tatsächlich gekommen ist kein einziger.“ In diesem Fall ging es um Stellen als Fahrer, in der Produktion und im kaufmännischen Bereich. 

Ähnliches berichtet ein Metzger, der auch eine Filiale in Kirchheim betreibt: Auf ausgeschriebene Stellen bekommt er derzeit so gut wie keine Reaktionen.
 

Selbst wenn wir über Mindestlohn zahlen, ist das für viele nicht attraktiv. 
Der Geschäftsführer
einer Kirchheimer Niederlassung

 

Auch die von der Agentur für Arbeit angesprochenen potenziellen Bewerberinnen und Bewerber kommen nicht oder sind schlichtweg nicht geeignet. Er schiebt das auf unattraktive Arbeitszeiten, gerade im Verkauf. „Man muss sich damit abfinden“, sagt der Inhaber, der seit 38 Jahren im Handwerk tätig ist. 

Die offiziellen Statistiken belegen den Eindruck der Geschäftsleute. Waren für die Geschäftsstelle Kirchheim der Agentur für Arbeit im August 2021 noch 928 freie Arbeitsstellen gemeldet, waren es im August dieses Jahres 1195, also fast 30 Prozent mehr. Auch Erklärungsansätze gibt es: Laut Kers­tin Fickus, Sprecherin der Agentur für Arbeit Göppingen, die auch für den Landkreis Esslingen zuständig ist, liegt der Rückmeldestau an fehlenden Qualifikationen. „Rund drei Viertel der Stellen sind auf Fachkraft- oder Experten- und Spezialistenniveau und erfordern eine abgeschlossene Berufsausbildung oder ein Studium“, sagt die Sprecherin der Arbeitsagentur. Mehr als die Hälfte der Bewerberinnern oder Bewerber haben aber nicht die geforderten Qualifikationen. 

Ein anderes Problem sei die Sprache: Fast die Hälfte der arbeitslos gemeldeten Personen sind Ausländer, deren Sprachkenntnisse nicht für den Arbeitsmarkt ausreichen. Auch gesundheitliche Einschränkungen spielen eine Rolle. Der Fachbegriff dafür heißt „Mismatch“, also fehlende Übereinstimmung. Heißt übersetzt: Stellen und Bewerber passen nicht optimal zusammen. „Wir können dann Instrumente einsetzen wie zum Beispiel Weiterbildungen,  Einarbeitungszuschüsse oder Deutschkurse, bevor wir Bewerber und Betrieb zusammenbringen können. Das dauert aber häufig sogar ein, zwei oder auch drei Jahre, bis diese Kräfte dann zur Verfügung stehen“, sagt Kerstin Fickus.

Warum sich manche trotz Qualifikation nicht bewerben, weiß Simon Bürkle, Leiter der Geschäftsstelle Kirchheim der Agentur für Arbeit. Manchmal seien die Anforderungen der Arbeitgeber zu hoch, glaubt er, ein Fahrer, der noch schwer schleppen muss oder montieren, sei nicht so ohne Weiteres zu finden. „In vielen Branchen haben wir für Arbeitnehmer einen Angebotsmarkt, weil die Arbeitslosigkeit relativ gering ist trotz der Krisen. Wenn jemand jetzt noch keinen Job in bestimmten Bereichen gefunden hat, dann gibt es einen Grund“, sagt Bürkle. Bei einem zumutbaren Job und passender Qualifizierung gehe man aber nach, wenn jemand nicht reagiere, und frage die Arbeitssuchenden nach dem „Warum“.

Unternehmer meinen die Antwort zu kennen: „Meines Erachtens ist die Differenz zwischen nicht arbeiten und arbeiten zu gering. Das neue Bürgergeld mit weniger Sanktionen geht in eine falsche Richtung“, sagt der Kirchheimer Geschäftsführer. Dass Arbeitgeber monieren, dass zu wenig sanktioniert werde, kann Simon Bürkle aus eigener Erfahrung nachvollziehen. „Aber die Praxis zeigt: Der Mehrwert der Sanktionen ist begrenzt. Wenn jemand partout nicht will, findet er Mittel und Wege. Das ist aber nur ein kleiner Teil und nicht unser Fokus. Der liegt darauf, die Menschen auf dem Weg zurück in Beschäftigung zu unterstützen“, sagt Simon Bürkle. 

Der Unternehmer aus Kirchheim hat Konsequenzen gezogen: „Wir arbeiten mittlerweile nur noch mit Zeitarbeitsfirmen. Aber lieber wäre es mir, wenn man Menschen aus der Arbeitslosigkeit holt und fest anstellt. Das sollte der Weg sein.“

 

Viele offene Stellen im Dienstleistungssektor

Für den August 2022 hat die Geschäftsstelle Kirchheim insgesamt 1274 offene Stellen gemeldet, das sind fast 300 mehr als noch im August vergangenen Jahres, als es 990 waren, oder eine Steigerung von 28,7 Prozent.

Die meisten Stellen waren im August 2022 bei wirtschaftlichen Dienstleis­tungen (459) und im verarbeitenden Gewerbe unbesetzt, nämlich 178, was im Vergleich zum Vorjahr (322 bzw. 111 offene Stellen) jeweils noch mal einen hohen Anstieg bedeutet. Während das Gastgewerbe mit 56 Stellen (44 im Vorjahr) eher im Mittelfeld liegt, gehört auch das Gesundheits- und Sozialwesen mit 142 offenen Stellen zu den Branchen, die händeringend Mitarbeiter suchen.

Gastgewerbe und Dienstleistungen gehören zu den Branchen, die laut Agentur-Sprecherin Kerstin Fickus mit den Effekten der Corona-Pandemie zu kämpfen haben: Viele Mitarbeiter, die sich umorientiert haben und dann nicht wiedergekommen sind. zap