Kirchheim
Steigende Flüchtlingszahlen: Der Kreis muss wieder hausieren gehen

Migration Weil viele Notunterkünfte inzwischen aufgelöst wurden, mangelt es zum Jahresende an Plätzen. Der Landrat appelliert an die Kommunen. Von Bernd Köble

Noch immer lagern Tausende Geflüchtete an der belarussischen Grenze zu Polen bei Nässe und Minusgrade im Freien. Während dort die Lage seit Tagen zu eskalieren droht, bereiten sich in den Rathäusern im Kreis und im Landratsamt die zuständigen Stellen auf einen neuerlichen Anstieg der Flüchtlingszahlen vor.

Landrat Heinz Eininger hat die Kommunen schon im Oktober in einem Schreiben darüber informiert, dass sich die Situation zuspitzt. Nachdem die Zuwanderungszahlen seit 2016 drastisch gesunken waren, steigen sie wieder kräftig an. Gründe sind neben der weiterhin katastrophalen Lage in Syrien die politische Situation im Irak und in Afghanistan, wo Menschen seit der Machtübernahme im August vor dem Taliban-Regime flüchten. Bis zum Sommer lag die durchschnittliche Zahl der Neuankömmlinge im Kreis Esslingen pro Monat bei knapp 40, für November sind vom Bundesamt nun 142 Personen zur vorläufigen Unterbringung angekündigt.

Von den Höchstquoten im Jahr 2015 sind diese Zahlen zwar weit entfernt. Damals kamen zu Spitzenzeiten monatlich knapp tausend Menschen hier an. Sorge bereitet die Entwicklung Politikern und Behörden dennoch. Der Grund: Nach dem von der Landesregierung verordneten Rückbau aus Kostengründen mangelt es an Quartieren. 953 der 1225 Plätze, die dem Landkreis zurzeit in Notunterkünften zur Verfügung stehen, sind belegt. Zudem könnten wegen Corona und unterschiedlicher ethnischer Gruppen, unter denen auch Familien mit Kindern sind, nicht alle Kapazitäten ausgeschöpft werden, teilt Landratsamtssprecherin Andrea Wangner mit. Sie geht davon aus, dass die vorhandenen Plätze noch bis Jahresende ausreichen werden.

Im Nachhinein sieht sich der Kreis in einem klugen Schachzug bestätigt: Vorigen Sommer hat die Verwaltung sich ihre größte Unterkunft zu einem Schnäppchenpreis gesichert, nachdem der Leasing-Vertrag ausgelaufen war. Das sogenannte Bergdorf am Ortsrand von Hochdorf beherbergte in Spitzenzeiten bis zu 240 Asylbewerber. Im Moment sind dort von nominell noch 158 verfügbaren Plätzen zehn frei. Ähnlich sieht es in Esslingen und Filderstadt aus, wo der Kreis im April auf gleiche Weise drei Gebäude übernommen hat. Die Stadt Kirchheim verfügt im Moment noch über 130 Plätze, von denen 111 belegt sind.  

Im Kreistag wächst derweil der Unmut über ausstehende Rückzahlungen vom Land für die Unterbringung. Aus den vergangenen Jahren fehlen noch 18 Millionen Euro in der Kreiskasse, die das Land zu erstatten hat. „Wir sind es mittlerweile leid, diese Forderungen Jahr für Jahr erfolglos zu erheben“, sagt Sieghart Friz, Fraktionschef der CDU im Kreistag. Dieses Geld fehle bei der Finanzierung wichtiger Investitionen, mahnt er, wohlwissend, dass in Stuttgart seine eigene Partei in der Regierung sitzt. SPD, Linke und Grüne haben den Kreis gemeinsam aufgefordert, sich der Initiative „Sicherer Hafen“ anzuschließen und Menschen aufzunehmen, die auf der Flucht aus Seenot gerettet oder aus überfüllten Lagern an den EU-Außengrenzen evakuiert worden sind.

Mehr Geflüchtete haben einen Job

Die Arbeitslosenquote von Menschen aus Asylherkunftsländern ist nach aktuellstem Stand vom Juli trotz Pandemie deutschlandweit um 5,9 Prozent gegenüber dem Vormonat gesunken, so deutlich wie in keiner anderen Bevölkerungsgruppe. Das geht aus Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur hervor. Im Moment ist etwa die Hälfte der Personen auf staatliche Hilfe angewiesen. Auch diese Quote sank im Juli um 5,3 Prozent.
Im Kreis Esslingen haben seit Anfang 2015 knapp tausend junge Migranten einen Ausbildungsplatz erhalten. Die meisten davon in Pflege- und Sozialberufen. Danach folgen das Baugewerbe, der Handel und das verarbeitende Gewerbe. bk