Kirchheim

Steiniger Weg führt in ein neues Leben

Rezension In ihrem Jugendbuch „Angekommen?“ schildert die Kirchheimer Buchautorin Iris Lemanczyk das Schicksal eines 14-jährigen Jungen, der aus Tunesien nach Deutschland flüchtet. Von Katja Eisenhardt

Sie trifft den Nerv bei jungen Lesern: Die aus Kirchheim kommende und jetzt in Stuttgart lebende Buchautorin Iris Lemanczyk hat
Sie trifft den Nerv bei jungen Lesern: Die aus Kirchheim kommende und jetzt in Stuttgart lebende Buchautorin Iris Lemanczyk hat schon mehrere erfolgreiche Jugendbücher geschrieben. Symbolfoto: Archiv

Die Bilder kommen immer wieder. Nachts, wenn er wieder mal nicht schlafen kann, weil ihn das Heimweh plagt. Die Bilder seiner Flucht über das Meer, in einem überfüllten Boot - die Angst ist sein ständiger Begleiter. Adnan, der Protagonist aus dem Jugendbuch „Angekommen?“, von Iris Lemanczyk, ist 14 Jahre alt und landet am Ende seiner strapaziösen und gefährlichen Flucht aus Tunesien in Stuttgart. Allein, ohne seine Familie und ohne seine Freundin Dhura aus Somalia, mit der er sich gemeinsam bis nach Deutschland durchgeschlagen hat. Während sie es bis zu ihrem Onkel nach Köln schafft, ist für Adnan am Stuttgarter Hauptbahnhof Endstation. Er ist ein UMF, ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling, der in eine Stuttgarter Inobhutnahme gebracht wird.

Angekommen Jugendbuch
So sieht das Cover ihres neuesten Buches aus. Foto: pr

„Angekommen?“ ist die Geschichte eines Jungen, der versucht, Fuß zu fassen, in einem Land, in dem ihm Kultur und Sprache anfangs völlig fremd sind, die ihm aber nach und nach immer vertrauter werden. Ein Junge, der mit dem ständigen Druck lebt, viel Geld für die Familie zu Hause aufbringen zu müssen. Angestachelt durch den ebenfalls minderjährigen Flüchtling Youssef, der es mit den deutschen Gesetzen nicht ganz so ernst nimmt, droht Adnan kurzzeitig auf die schiefe Bahn zu geraten. Doch der 14-Jährige besinnt sich eines Besseren, hat glücklicherweise ein Umfeld, das ihn an sein eigentliches Ziel erinnert: anzukommen.

Was anfangs schier unerreichbar scheint, ist am Ende doch so greifbar nah. Adnan wird von einer deutschen Pflegefamilie aufgenommen und hat so die beste Chance, sein neues Leben in Stuttgart zu beginnen.

Adnan selbst ist Fiktion, seine Geschichte aber ist es nicht. Sie beruht auf Tatsachen, die Autorin Iris Lemanczyk im Zuge ihrer Recherche zusammengetragen hat und ihren jungen Protagonisten erleben lässt. Der 14-Jährige steht stellvertretend für die Schicksale und Erlebnisse vieler junger Flüchtlinge, die in Deutschland auf einen Neuanfang hoffen.

Die Geschichte blickt hinter die Kulissen. Sie beschreibt all die Schwierigkeiten und Kulturunterschiede, mit denen die jungen Menschen und ebenso ihr neues Umfeld auf dem Weg zur Integration konfrontiert werden. Und sie regt dazu an, selbst genauer hinzuschauen, sich mit den Menschen und ihren Geschichten zu befassen. Damit der Weg an der ein oder anderen Stelle vielleicht nicht mehr ganz so steinig ist.

 

Info: Das Jugendbuch „Angekommen?“ ist im Horlemann Verlag erschienen und ist eine Fortsetzung des ersten Bands „Im Paradies?“, in dem Adnans Flucht nach Europa geschildert wird. Zur Autorin: Iris Lemanczyk ist in Kirchheim geboren und aufgewachsen. Erste journalistische Erfahrungen sammelte sie beim Teckboten. Nach ihrem Germanistik- und Geografiestudium in Tübingen hat sie bei der Neuen Württembergischen Zeitung in Göppingen und bei der Südwest Presse in Ulm volontiert. Diverse Auslandsaufenthalte, unter anderem in Namibia, Indien, Australien, Neuseeland sowie Reisen durch Afrika und Südostasien liefern ihr immer wieder Ideen für neue Geschichten. Aktuell führte sie eine Reise nach Äthiopien, wo sie unter anderem in Addis Abeba Lesungen an der Deutschen Schule hielt. Iris Lemanczyk lebt in Stuttgart und schreibt hauptsächlich Jugendbücher sowie bisher auch zwei Bücher für Erwachsene.

Drei Fragen an die Autorin Iris Lemanczyk

Iris LemanczykEhrenamtspreis 2009
Iris LemanczykEhrenamtspreis 2009

1. Warum haben Sie die Flüchtlingsthematik für ein Jugendbuch aufgegriffen?

Ich bin häufig in Schulen zu Lesungen, dort sitzen geflüchtete Kinder in den Klassen. Oftmals wissen ihre Mitschülerinnen und Mitschüler nicht, was diese Kinder hinter sich und mit welchen Problemen sie zu kämpfen haben. Ganz Mutige melden sich dann während der Lesung und sagen: „Ich bin auch übers Meer gekommen.“ Bei einigen Kindern ist es das erste Mal, dass sie in der Klasse von ihrer Flucht berichten.

2. Wie haben Sie für die Geschichte recherchiert?

Für das Buch war ich viel in einer Einrichtung für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge und habe dort mit den Jugendlichen gesprochen. Außerdem habe ich Kontakt zu einer Pflegefamilie, die sich um ein Flüchtlingskind kümmert und Rahmi, ein schon Volljähriger hat mir aus seiner Zeit in einer Pflegefamilie erzählt. So habe ich mir die Informationen von verschiedenen Leuten und Institutionen zusammentragen und dies alles Adnan erleben lassen. Den gibt es nicht, aber was er erlebt, haben unterschiedliche, reale Leute erlebt.

3. Was möchten Sie mit dem Buch bewirken?

Es ist mir wichtig, dass die Jugendlichen nicht nur mit ihren Freunden reden, sondern auch die Welt ihres Gegenübers in der Klasse kennenlernen, mit dem sie sonst vielleicht nicht viel zu tun haben. In der Sprache der neuseeländischen Maori gibt es das Wort „Whanaungatanga“, das bedeutet: Für andere zu sorgen, weil ihr Geschick mit dem eigenen verbunden ist. Ich hätte gerne mehr „Whanaungatanga“ bei uns.eis