Lehrer sind inkompetent und mit digitaler Technik überfordert. Ein Bild, das sich hartnäckig nicht nur an Stammtischen hält. Nach Meinung der Schulleiter-Vereinigung (VSL) im Land sieht die Wirklichkeit ganz anders aus. Dass trotz zahlreicher Probleme vieles gut läuft im digitalen Unterricht, ist der VSL zufolge vor allem der Eigeninitiative von Schulleitungen und Lehrkräften zu verdanken. Was die beklagen, sind Bürokratie und technische Hürden auf Seiten der Schulträger, oft auch mangelnde Unterstützung durch die Schulverwaltung.
Eine Stelle, die Hilfe leistet, ist das Kreismedienzentrum in Esslingen. Vier Vollzeitkräfte, ausgestattet mit 39 Unterrichtsstunden durch das Kultusministerium, werden hier unterstützt von Fachkräften, die das Medienzentrum des Landes zur Verfügung stellt. Darunter sind digital-affine Pädagogen, aber auch ausgebildete Informatiker. Viel zu wenig jedenfalls für die rund 200 Schulen, die allein im Kreis Esslingen Unterstützung benötigen. Was es heißt, digitalen Unterricht flächendeckend zu organisieren, hat Jochen Keil im Januar an einem eindrücklichen Beispiel erfahren. Seit September ist er neuer Leiter des Kreismedienzentrums, das mit „Jitsi“ den Schulen unter anderem ein Tool für Videokonferenzen zur Verfügung stellt. Ausgelegt ist es für tausend Nutzer. Nach Ende der Weihnachtsferien explodierte die Zahl auf bis zu 30 000 Zugriffe pro Tag. Der Server ging darauf in die Knie. „Häufig ist jedoch nicht die Serverleistung das Problem“, sagt Jochen Keil, „sondern die Qualität der Verbindung vor Ort.“ Im Moment sind noch immer 133 von knapp 200 Schulen im Landkreis als förderfähig eingestuft und gelten damit als digital unterversorgt. Mancherorts gibt es weder die nötige Verkabelung noch flächendeckendes WLAN. In vielen kleineren Schulen sind notdürftige Behelfslösungen Alltag.
Wie viele Lehrkräfte wünscht sich auch Keil mehr Tempo. Nicht nur beim Netzausbau, den im Landkreis und in der Region Zweckverbände vorantreiben. Auch bei der vom Land angekündigten zentralen Lernplattform oder bei der Fortbildung von Lehrkräften, wie sie auch das Kreismedienzentrum (KMZ) anbietet. Denn eines ist für ihn klar: Digitalisierung wird an Schulen Schwerpunktthema bleiben - auch nach der Pandemie.
So wie der Schulbetrieb muss sich auch das KMZ völlig neu erfinden. Aus der einstigen Kreisbildstelle ist ein IT-Dienstleister geworden, der technischen Support vor Ort anbietet und Lehrkräfte entsprechend weiterbildet. Für die Schulen ist die Stelle wichtiger Ansprechpartner bei der Ausarbeitung von Medienentwicklungsplänen, ohne die es keine Fördergelder gibt. Gleichzeitig versucht man dort, IT-Firmen und Kommunen an einen Tisch zu bringen, um dauerhafte Serviceverträge für die Schulen abzuschließen.
Für Jochen Keil ist funktionierende Technik zwar die Voraussetzung, aber längst nicht alles. Den IT-Support könne man gut lösen, sagt er. Zumal vieles längst per Fernwartung möglich sei. Digitalunterricht ist für ihn jedoch mehr als die Frage nach Tablets, Laptops und schnellem Internet. „Wir müssen weg von dieser ganzen Technik-Debatte“, sagt Keil, der neun Jahre lang Konrektor in Esslingen war und in Sachen Digitaltechnik als Quereinsteiger gilt. „Wir brauchen wieder mehr Zeit für pädagogische Beratung“, sagt er. „Für die Frage, wie hat digitaler Unterricht eigentlich inhaltlich zu funktionieren?“
Das Problem: Im Moment gibt es zu viele, die das Feld bespielen. Kreis und Land, Kommunen, die Privatwirtschaft, Stiftungen. Dazu kommt eine Flut von Förderprogrammen, die es zu bündeln und letztlich auch zu finanzieren gilt. „Je klarer das Land die Vorgaben macht“, sagt Thomas Eberhard, der im Landratsamt das verantwortliche Dezernat leitet, „desto kleiner ist am Ende der Chor der Vielstimmigen.“