Kirchheim
Thema Tierwohl: Bauern fühlen sich angegriffen

Landwirtschaft Das Thema Tierwohl ist aktueller denn je. Viele Landwirte sehen sich in der Debatte zu Unrecht an den Pranger gestellt – auch in Lenningen und Ochsenwang. Von Daniela Haußmann

In einem Interview, das in dieser Zeitung erschienen ist, behauptet der Schauspieler und Tierwohl-Aktivist Hannes Jaenicke unter anderem, dass „die meisten Milchkühe permanent krank sind“ und „ständig medikamentös behandelt werden“. Dem widerspricht Andreas Schmid vehement. Der Milchbauer aus Ochsenwang betont: „Gerade der Landwirt hat doch das größte Interesse daran, dass die Tiere gesund sind und sich wohlfühlen.“ Nur dann erbringen sie eine optimale Leistung, verursachen weniger Kosten und garantieren eine vermarktungsfähige Milchqualität.

 

Gerade der Landwirt hat das größte Interesse, dass die Tiere sich wohlfühlen.
Andreas Schmid
Milchbauer aus Ochsenwang

 

Jeder Milcherzeuger und jede Molkerei sind Lebensmittelunternehmer und verpflichtet nur Lebensmittel in Verkehr zu bringen die gesetzlich festgelegte Gütekriterien erfüllen. Jede Rohmilch-Lieferung wird laut Schmid deshalb ausnahmslos auf Hemmstoffe geprüft, weil sie etwa zu Bakterienresistenzen führen können. Meist handele es sich bei diesen Stoffen um Reste von Medikamenten wie Antibiotika, die etwa bei Eutererkrankungen, Verwendung finden würden. Werden Rückstände festgestellt darf Milch nicht verarbeitet werden und dem Erzeuger drohen Milchgeldabzug, Arzneimittelprüfungen und im schlimmsten Fall massive Schadensersatzforderungen, erklärt Andreas Schmid.

Für die Viehhalter ist das ein Horrorszenario. Die Motivation, eine Herde gesund zu halten oder in die nachhaltige Genesung einer kranken Kuh zu investieren, ist daher hoch. Denn letztere fällt aus der Produktion, bis sich in der Milch keine Reste mehr nachweisen lassen, versichert der Bauer.

Ihm zufolge ist gerade die Abgabe von Antibiotika so stark reglementiert, dass ein Infektionserreger zuerst im Labor bestimmt werden muss, um spezifisch für ihn entwickelte Präparate einzusetzen, damit es nicht zu Resistenzen kommt. Bis das Ergebnis vorliege könnten mehrere Tage vergehen. In akuten Fällen kann so das Tierwohl beeinträchtigt sein, weil Veterinäre ohne Befunde kein Antibiotikum abgeben dürfen, kritisiert der Viehhalter.

Ulrich Jaudas erklärt, dass die Gesundheit der Kühe schon in der Zucht eine Rolle spiele. Der Agraringenieur aus Schlattstall betont, dass das Genom der Rinder systematisch untersucht wird: „Von jedem Zuchtbullen wird ein individuelles Gen-Profil erstellt, das zeigt welche erwünschten Merkmale, aber auch welche Krankheiten er vererbt.“

So lassen sich nicht nur Ertrag und Qualität verbessern: „Die Gesundheit der Nachkommen kann gezielt gefördert werden, indem krankmachende Genvarianten entdeckt und ihre Weitervererbung verhindert wird.“ Schon bei der züchterischen Bewertung werde daher auf Merkmale wie Konstitution, Vitalität, Klauen- und Eutergesundheit geachtet. „Diesen Eigenschaften wird mit einem Anteil von 60 Prozent bei der Zucht ein höherer Stellenwert beigemessen als der Milchleistung, deren Anteil bei 40 Prozent liegt“, so Jaudas weiter. „Das alles hat nichts mit Gen-Technik zu tun.“ Zuchtziel seien auch langlebige Milchkühe, weil sich diese über die Milchleistung bezogen auf das Alter amortisieren. Die älteste Kuh, die Bioland-Bauer Arnim Kächele je hatte, wurde 21 Jahre alt. Der Lenninger räumt ein, dass Tiere aus diversen Gründen auch früher den Hof verlassen, aber das sei nicht die Intention.

Laut Statistischen Landesamtes ist die Zahl der viehhaltenden Betriebe stärker zurückgegangen als die Viehbestände. Die wachsen pro Betrieb. 2010 gab es im Südwesten nur neun Betriebe mit einer Milchkuhherde von über 200 Tieren – 10 Jahre später waren es fast 100. Die Betriebe, in denen der Bauer noch einen Bezug zum einzelnen Tier hat, gehen verloren, so Arnim Kächele. Soll Tierwohl gefördert werden, müsse die Agrar- und Förderpolitik so gestaltet werden, dass kleine und mittlere Betriebe dabei unterstützt werden, ein faires Einkommen zu erzielen.

Anstrengungen, die über gesetzliche Mindeststandards bei der Haltung hinausgehen, müssten honoriert werden. Beim Neu- und Umbau von Ställen rate er in der Regel, die Herde zu vergrößern, damit Kredite schneller abbezahlt seien. Doch die meisten Bauern wollten diesen Wachstumsdruck nicht, weil die Rentabilität sinke, die Arbeitsbelastung und die Anfälligkeit in Krisensituationen und Zeiten mit niedrigen Milchpreisen steige. Solche Strukturen gelte es auch zugunsten des Tierwohls zu durchbrechen. In jeder Branche gibt es schwarze Schafe, aber das dürfe nicht zu einer pauschale Verurteilung führen, bilanziert Kächele.

 

Drei Fragen an Annette Schmid

1. Eine Kuh von ihnen ist dieses Jahr plötzlich zusammengebrochen. Warum?

In unseren Futterwiesen wird immer wieder gepicknickt. Leider finden wir deshalb teilweise Messer und Gabeln im Schnittgut. Ein Magnet am Futtermischwagen kann Besteck aus Metall herausziehen, aber eben nicht alles und kein Plastikbesteck oder Aluminium. Wir verarbeiten Tonnen von Gras, eine lückenlose Sichtung ist deshalb nicht möglich. Wir nehmen an, dass die Kuh einen scharfen, spitzen Gegenstand, vermutlich Besteck, gefressen hat. Jedenfalls brach sie direkt vor mir tot zusammen.

2. Wie ging es ihnen damit?

Die ganze Familie war völlig fassungslos. Mir hat das Herz geblutet, weil ich dem Tier nicht helfen konnte. Wir hatten nicht einmal die Chance, den Tierarzt zu rufen – so schnell ging das. Wir leben mit den Kühen zusammen, haben eine über Jahre gewachsene Beziehung zu ihnen. So ein Zwischenfall ist deshalb ein Schock.

3. Wie geht es ihrer ältesten Kuh?

Unsere älteste Kuh ist dieses Jahr 14 Jahre geworden und erfreut sich bester Gesundheit. Das Tier fühlt sich rundum wohl, ansonsten hätte sie auch nicht dieses Alter erreicht. Wir tun was wir können, damit es ihr gut geht. Dazu gehört auch, dass wir die Menschen, die unsere Wiesen betreten, für das Wohl unserer Tiere sensibilisieren.