Kirchheim

Trump als Schock und Chance

Gespräch Der Tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni war zu Gast in der Kirchheimer Buchhandlung Zimmermann. Gemeinsam mit dem Journalisten Rainer Nübel stellte er sein neues Buch vor. Von Ulrich Staehle

Ausverkauftes Haus: Der Dialog zwischen Ingo Zamperoni und Rainer Nübel stieß in Kirchheim auf großes Interesse.Foto: Markus Brä
Ausverkauftes Haus: Der Dialog zwischen Ingo Zamperoni und Rainer Nübel stieß in Kirchheim auf großes Interesse.Foto: Markus Brändli

Die Verbindung zum Kirchheimer Publikum hat der Medienstar mit dem internationalen Flair schnell hergestellt: „Sie leben in einer wunderschönen Stadt. Ich hatte Gelegenheit, die Schönheiten, wie das Rathaus, bei einem Stadtrundgang zu sehen“, begrüßt er seine Zuhörer. Ingo Zamperoni - sein Familienname stammt von seinem italienischen Vater - ist 1974 geboren, hat Amerikanistik, Geschichte und Jura studiert, auch in den USA. Seine Frau ist Amerikanerin. Er legte eine steile journalistische Karriere hin - bis zum Moderator der „Tagesthemen“. Nun ist der deutschlandweit bekannte Starjournalist, der gewöhnlich in den „Tagesthemen“ Gespräche mit politischen Größen führt, zu Gast in der Kirchheimer Buchhandlung Zimmermann gewesen.

Filialleiterin Sibylle Mockler konnte es selbst kaum glauben, als das Angebot vom Ullstein-Verlag kam. Für dieses gab es einen handfesten Grund: Ingo Zamperoni wollte sein dieses Jahr erschienenes Buch vorstellen. Es heißt „Anderland. Die USA unter Trump. Ein Schadensbericht“. Die Veranstaltung war im Nu ausverkauft.

Sein Buch präsentierte Zamperoni im Dialog mit Rainer Nübel, einem erfahrenen Journalisten und Lehrbeauftragten an zwei Hochschulen. Ursprünglich plante Zamperoni nach der Wahl Trumps eine Ergänzung seines Bestsellers „Fremdes Land Amerika“. Doch dann war die Materialfülle so groß, dass er den „Marathonlauf“ eines neuen Buches auf sich nahm. Rainer Nübel gab die Impulse, damit Ingo Zamperoni in lebendiger, freier Rede zu den Anliegen seines neuen Buches referieren konnte.

Die Wahl Trumps war für Zamperoni ein Schock. Auch privat, vor allem für seine Frau. Er hat einen „Roadtrip“ in das Dreiländereck zwischen Ohio, West-Virginia und Kentucky, also ins Trump-Land unternommen. Er wollte wissen, ob nach den chaotischen Personalrochaden, dem Kündigen von Bündnissen und Verträgen, der unbedingten Gefolgschaft der Waffenlobby die Trump-Wähler ihre Wahl bereuen würden. Das Ergebnis: keine Spur von Reue, sondern eine Jetzt-erst-recht-Haltung. Wichtigster Grund ist der „ABC-Effekt“: Anything but Clinton. Alles ist besser als Clinton.

Zur Wahl standen zwei unbeliebte Kandidaten, und Hillary Clinton war als Vertreterin des politischen Establishments, dem man alle Schuld zuschob, besonders verhasst. Egal, was Donald Trump auch anstellt, er ist ein Hoffnungsträger für die Abgehängten, vor allem für die, die ihre Jobs in der Stahl- und Autoindus­trie verloren haben. Der Zeitpunkt für einen Machtwechsel ist auch gekommen, weil die Demokraten jahrelang regiert haben. Da schlägt nach amerikanischer Tradition das Pendel nach der anderen Seite aus. Da zählen auch Obamas Verdienste nicht mehr. Die Weißen sind auf dem Rückzug. Trump lässt sie von einer Wiederherstellung früherer Macht träumen. Selbst die Evangelikalen reihen sich in ihrem Bedürfnis nach Sicherheit ein.

Und Trump hat schließlich einige in diesem Sinn auf den Weg gebracht. Er hat konservative Richter in Schlüsselposition auf Lebenszeit berufen, hat durch Steuersenkung die Wirtschaft angekurbelt. Die auf dem gestiegenen Rentenkurs basierenden Renten haben sich verbessert. Dass der kleine Mann, also auch Trump-Wähler, die Steuerausfälle durch die Kürzung der Sozialleistungen bezahlen wird, spielt im Moment keine Rolle. Eine Rolle spielt vor allem die Wiederwahl, und die scheint für Zamperoni sehr wahrscheinlich. Die Hoffnung auf ein Impeachment hält er für „töricht“ und verfehlt. Ein Amtsenthebungsverfahren würde ihn in eine Opferrolle bringen und gefährliche soziale Konflikte hervorrufen.

Zamperoni las eine einzige Passage aus seinem Buch vor, in der die Gründe konzentriert sind, die die Menschen dazu gebracht haben, Trump zu wählen. Seine Wähler stammen aus allen Schichten, auch Frauen sind darunter, obwohl er so verächtlich über sie redete. Die „Abgehängten“ setzen darauf, dass Trump sie ernst nimmt und ihre Lage verbessert. Das sind die „Do-you-hear-me-now-Wähler“.

In griffigem Stil geschrieben

Die Leseprobe aus dem Buch war ein Beispiel für Zamperonis griffigen Stil, in dem sein Buch geschrieben ist. Er theoretisiert nicht nur, sondern bettet die theoretischen Äußerungen in die Schilderung von anschaulichen Situationen und konkreten Personen ein. Durchgehend ist auch von seiner eigenen Befindlichkeit, der seiner Frau, seiner drei Kinder und seines Schwiegervaters, einem Trump-Wähler, die Rede. So gewinnt die Bestandsaufnahme des Phänomens Trump eine persönliche glaubhafte Note.

Der intensive Beifall am Schluss spiegelte die Zufriedenheit der Zuhörer wider. Und wer den jungen Mann jetzt wieder als Moderator der Tagesthemen sieht, wo er ein wenig steif und offiziell wirkt, weiß nun, dass er nicht nur ein ernster und sachlicher, sondern auch ein humorvoller und emotionaler Mensch ist.

Fragen und Antworten rund um die USA, Trump und die Medien

Fragen stellte Moderator Rainer Nübel, aber auch die Kirchheimer Zuhörer. Hier eine Auswahl aus Fragen und Antworten, die zum Teil über die Ausführungen im Buch hinausgegangen sind.

Ist Trump die negative Ausprägung des Kapitalismus? Nicht grenzenlos. Checks and Balances sind in den Staaten noch wirksam. Sogar ein Sonderermittler kann arbeiten.

Hat Trumps Sieg etwas mit 9/11 zu tun? Das Attentat hat Spuren hinterlassen im Wunsch nach Sicherheit und alter Souveränität.

Wie war der Einfluss der Medien auf die Wahlentscheidung? Groß. In den USA gibt es keine öffentlich-rechtliche ausgewogene Berichterstattung. Es gibt nur einseitige gegensätzliche Informationsquellen und dadurch entsteht die Gefahr von Einseitigkeit und Polarisierung.

Ist Trump eine Chance für Europa? Wenn sie gemeinsam genutzt wird. Trump hat wachgerüttelt. Der Wehretat muss angehoben, der Handelsüberschuss abgebaut werden. Amerika und Europa sind jetzt spürbar politisiert. Toleranz ist kein Automatismus, sondern will gehegt werden.

Welche Folgerungen hat da Umsichgreifen von „Fake News“ für den deutschen Journalismus? Ein einziges Heilmittel dagegen gibt es nicht. Übrig bleibt solides Handwerk, ­das heißt harte Recherchenarbeit. Nachrichten und Kommentare müssen klar getrennt sein, so wie es in den Tagesthemen praktiziert wird. Eine absolute Objektivität kann es natürlich nie geben. us