Kirchheim

Trump und der Brexit lassen grüßen

Vortrag Sozialethiker Franz Segbers spricht im katholischen Gemeindehaus St. Ulrich über Abstiegsängste.

Kirchheim. Im Ton ist Franz Segbers sachlich, fast gelassen, die Themen und Thesen seines Vortrages bergen allerdings Brisanz. Bei der Veranstaltung von „attac Kirchheim“, der Frauenliste, Pax Christi und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft geht es um eine akute Gefahr für die Demokratie durch wachsende Armut, zunehmende gesellschaftliche Spaltung und Abstiegsängste der unteren Mittelschicht. Das sei der Nährboden für zunehmenden Rechtspopulismus nicht nur in Deutschland. Aus seiner Sicht die Folge einer neoliberalen Politik mit Globalisierung und der „scheibchenweisen Reduzierung des Sozialstaates seit 25 Jahren“. Franz Segbers spricht auch von „entsicherten Arbeitsverhältnissen“ durch Gesetze zur Befristung, Leiharbeit, Minijobs und Lockerung des Kündigungsschutzes. Durch die Agenda 2010 und Hartz IV sei diese Politik noch verschärft worden.

„Die Armut kehrt zurück“ ist eine von Segbers Thesen, die er mit Zahlen untermauert. So seien die realen Nettoeinkommen der reichsten zehn Prozent zwischen 1991 und 2014 um 27 Prozent gestiegen, gleichzeitig schrumpften die Einkommen der unteren 40 Prozent unter den Stand von vor 20 Jahren. Die Angaben stammen nicht aus einer dubiosen Quelle, sie stehen im „Armuts- und Reichtumsbericht“ der Bundesregierung. „Der wirtschaftliche Aufschwung ist an Kindergärtnerinnen, Krankenpfleger und Millionen von Niedriglöhnern und Leiharbeitern vorbeigegangen“, stellt der Wissenschaftler fest. Selbst die Europäische Kommission attestiere der Bundesregierung zwischen 2008 und 2014 eine „Politik, die stark die Armut vergrößerte“.

Angesichts solcher Verhältnisse baut sich seiner Einschätzung nach zunehmend Empörung auf. Die Soziologen hätten schon seit Jahren eine ohnmächtige Wut registriert. „Jetzt geht die Wut nach rechts“, konstatiert der Theologe, „wir erleben eine Revolte gegen die Zumutungen des neoliberalen Umbaus.“ Immer mehr Menschen hätten das Gefühl, die Demokratie tue nichts für sie. „Diese Gefühle machen sich Populisten zu eigen“, analysiert er nüchtern. Dabei zeige sich, dass keineswegs nur Arbeiter und Arbeitslose dafür empfänglich sind. „Es ist vor allem die untere Mittelschicht, die ihren Frust in rechte Stimmungen umsetzt“, stellt Franz Segbers fest. Es komme zu einem paradoxen Phänomen. Die Ursache für die eigene Lage werde nicht bei den verantwortlichen Eliten gesehen, die Feindseligkeit richte sich gegen die ganz unten: Langzeitarbeitslose, Flüchtlinge, Obdachlose oder Behinderte. Auch das laut Franz Segbers eine Folge des Neoliberalismus, der sich im Denken breitgemacht hat und Menschen nur noch nach ökonomischen Kriterien wie Verwertbarkeit, Nützlichkeit oder Effizienz einstuft. Und es sei die Angst der Mittelschicht, selbst in einer solchen Situation zu landen. Das nenne man „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“. Diese Ablehnung sei die Reaktion auf eine grundlegende Verletzung der eigenen sozialen Anerkennung.

Gewinner und Verlierer

Dann kommt Franz Segbers auf die Gewinner und Verlierer der Globalisierung zu sprechen. Die Schwellenländer haben durchweg profitiert, ebenso wie das eine Prozent der Superreichen, die satte 60 Prozent an Einkommen zulegten. Verlierer sind die Menschen der Mittelschicht in den Industriestaaten, allen voran USA, Großbritannien und Deutschland. Die rechten Tendenzen in diesen Ländern seien eng damit verknüpft. Man könne nicht über Rechtspopulismus reden, ohne in dem Zusammenhang den Neoliberalismus zu nennen. „Trump und der Brexit lassen grüßen“, meint er lakonisch dazu.

Wie könnte ein Lösungsansatz für die gesellschaftlichen Probleme aussehen? „Wir müssen wieder eine Verteilungsdiskussion führen“, meint Franz Segbers dazu. Es müsse darüber debattiert werden, wie man eine „armutsfeste“ Rente hinbekomme, wie man Kinder vor dem Armutsrisiko bewahrt, wie man Menschen ein würdiges Leben ohne Existenz- oder Abstiegsängste ermöglicht. „Die weitere Spaltung der Gesellschaft“, da ist sich der Theologe sicher, „führt zu einer Gefährdung der Demokratie.“Günter Kahlert