Kirchheim
Umstieg auf sauberen Antrieb – nur wann?

Lastverkehr Speditionen müssen sich für den Technologie-Wandel rüsten. Marschiert Europa nicht im Gleichschritt, könnte das lange dauern, fürchten Unternehmer. Von Bernd Köble

Ein leergefegter Hof ist in der Regel ein gutes Zeichen, wenn man Chef eines Speditionsunternehmens ist. Lkw müssen auf Achse sein, damit das Geschäft läuft. Nur: Lkw verbrauchen Sprit und sie tragen mit dazu bei, dass der Gesamtausstoß an CO2 trotz Corona im vergangenen Jahr erneut gestiegen ist. Explodierende Treibstoffpreise, schärfere Emmissions-Richtwerte und eine ungewisse Zukunft, was alternative Antriebe und die dafür benötigte Infrastruktur betrifft, fordern Transportunternehmen heraus.

Matthias Diez hat gerade die Feiern zum 75-jährige Firmenjubiläum hinter sich. Das Dettinger Familienunternehmen in dritter Generation macht mit 80 Lkw rund 15 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Der Branche geht es gut, die Auftragsbücher sind voll. Wo das Unternehmen in 20 Jahren stehen wird? „In solchen Spannen können wir nicht planen,“ sagt Matthias Diez. „Unser Zielhorizont liegt fünf bis zehn Jahre voraus.“ In diesem Zeitraum plant der Firmenchef den Umstieg auf alternative Antriebe. 

Bei den rund zwei Millionen Euro, die das Unternehmen pro Jahr in seinen Fuhrpark investiert, wird es dann kaum bleiben. Ob rein elektrisch oder mit Brennstoffzelle: Solche Fahrzeuge kosten mehr als das Dreifache in der Anschaffung. Im Moment sind die Lkw maximal vier Jahre in Betrieb bis sie

 

Wir könnten auch einfach Bäume pflanzen.
Jörg Mosolf
Der Kirchheimer Konzernchef zu grüner Unternehmenspolitik.
 

ausgemustert werden. Ein Zyklus, der verlängert als Puffer im Transformationsprozess dienen könnte. Ein Einstieg in den Umstieg kommt für Diez allerdings nur im Nahverkehr infrage.  Das Problem: Die Kurzstrecke macht lediglich zehn Prozent des Geschäftsvolumens aus. „Wir reden hier eher über Nischenfahrzeuge,“ sagt er. Kerngeschäft ist der europaweite Fernverkehr. Genau dort, wo es schwierig wird.

Wettbewerbsfähigkeit – für Jörg Mosolf, Chef eines der führenden Logistikunternehmen in Europa steht dieser Begriff deshalb über allem. „Wir leben auf keiner Insel,“ sagt er. „Wir brauchen mindestens eine europäische, wenn nicht eine globale Lösung.“ Gesetzliche und infrastrukturelle Rahmenbedingungen, die reichen bei ihm vom Spritpreis-Gefälle über fehlende Tank- und Ladeinfrastruktur bis hin zu Lohn- und Öko-Dumping. Der Blick über Grenzen gehört zum Geschäft. Durch die Vorstandsbüros im vierten Stock des Kirchheimer Stammhauses weht der Hauch von weiter Welt. Edle Technik, viel Leder, eine Wand aus gewaltigen Monitoren – von hier aus lenkt der Konzernchef die Transportwege von 5,5 Millionen fabrikneuer Pkw jährlich. Die blauen Fahrzeugtransporter mit dem weißen Schriftzug sind das historische Gesicht des Unternehmens. Inzwischen macht Mosolf mit 3 100 Mitarbeitern europaweit 525 Millionen Euro Jahresumsatz. Über die Straße rollt nur ein Teil des Geschäfts. Der Konzern verfügt über eigene Binnenschiffe und 330 Bahnwaggons. Als Systemdienstleister der Automobilindustrie sind aber auch die Probleme vielfältig. Im Moment redet kaum jemand über Corona oder zu hohe Spritpreise, sondern über fehlende Mikrochips, die dafür sorgen, dass bei Fahrzeugherstellern die Produktion stockt. Für Mosolf heißt das: 70 Prozent weniger Auftragsvolumen. „Ich habe mehr als ein halbes Dutzend Krisen erlebt,“ sagt Jörg Mosolf gelassen. „Wir sind für die Zukunft gut aufgestellt."

Während das Transportgewerbe noch immer darauf wartet, Teil des Emissionshandels zu werden, gehen Mosolf Schlagwörter wie Green Logistics oder Carbon Credits flüssig über die Lippen. „Wir könnten auch einfach Bäume pflanzen,“ sagt er.  Das operative Geschäft grüner machen, wie er es nennt, hat für ihn viele Seiten. Im Stammhaus in Kirchheim arbeiten vier Mitarbeiter in einer eigenen Stabsstelle für Nachhaltigkeit. Am Standort nahe Leipzig soll in Kürze eine 17 Hektar große Stellfläche mit Solarmodulen überdacht werden und Ladestationen entstehen. Zeitgleich laufen Verhandlungen mit der Bahn, um den Transport auf der Schiene europaweit auszubauen. Es heißt aber auch, den Nahverkehr auf der Straße, der ein Drittel des Gesamtvolumens ausmacht, „technologieoffen“ in den kommenden zehn Jahren auf alternative Antriebe umzustellen. Zurzeit ist nur ein Prozent der 800 Lkw im Unternehmen elektrifiziert. Zur Mitte dieses Jahrzehnts, so die firmeninterne Rechnung, werden Nutzfahrzeughersteller ihr Angebot emissionsfreier Antriebe komplettiert haben. „Wir waren immer Vorreiter,“ sagt Jörg Mosolf. „Um ins Volumen zu gehen, müssen jedoch die Rahmenbedingungen passen.“ Tun sie das nicht, ist der Abschied von der Straße kein Tabu mehr. „Der Lkw-Bereich wird in Zukunft nicht mehr die dominante Rolle spielen,“ ist Mosolf überzeugt. „Ich selbst habe keinen Lkw-Führerschein,“ sagt er und lacht. „Trucking ist unser historisches Geschäft – aber wir können auch ohne.“

 

Brennstoffzelle: Das verschenkte Jahrzehnt

Alternative Antriebe sind inzwischen auch im Nutzfahrzeugbereich aktuelles Thema. Daimler hat mit dem „e-Actros“ vor wenigen Wochen den ersten serienreifen Schwerlaster mit Elektroantrieb vom Band laufen lassen. In Weilheim könnte nach den Plänen von Cellcentric in vier Jahren die Brennstoffzelle folgen. Das Forschungszentrum von Daimler und Volvo in Nabern würde im benachbarten Weilheim am liebsten schon 2023 mit dem Bau der europaweit größten Produktionsstätte für Wasserstoffantriebe beginnen. Die Frage, die sich vielen dabei stellt: Warum erst jetzt? In Nabern wird seit mehr als 30 Jahren am Brennstoffzellenantrieb geforscht. Die Technologie gilt schon lange als ausgereift, aber zu teuer für den Markt. In Logistik-Konzernen wie bei Mosolf in Kirchheim spricht man von einer vertanen Chance bei der Nutzung des Technologie-Vorsprungs in der Region. „Wenn man das Thema früher forciert hätte, wäre heute allen geholfen,“ meint Firmenchef Jörg Mosolf. „Wir haben hier zehn Jahre verschenkt.“  bk