Kirchheim

Und wer war jetzt eigentlich Otto?

Museumsfest Alte Postkarten, Fotos und Schriften: Im Kirchheimer Kornhaus zeigte das Städtische Museum, wie kommuniziert wurde, als es noch lange kein WhatsApp gab. Von Andrea Barner

Postkarten aus der Zeit des 1. Weltkriegs. Historikerinnen haben die Sütterlin-Texte entziffert. Fdtos: Günter Kahlert

Wer ist dieser geheimnisvolle „Otto“? Im ers­ten Weltkrieg schrieb er regelmäßig Postkarten an die Großmutter einer Kirchheimerin. „Wertes Fräulein!“, so begann Otto seine Kurzmitteilungen. Feldpostkarten und romantische Karten hatte seine Enkelin im Nachttisch ihrer Oma gefunden. Die Texte sind heute verblasst und in Sütterlinschrift. Das ist ein Fall für Dr. Senta Herkle. Die Stuttgarter His­torikerin entziffert mit ihren beiden Assistentinnen die Texte. Am Ende bleibt die Frage: Wer war Otto und wie kam der große Unbekannte dazu, dem „Fräulein“ zu schreiben?

Oben: Postkarten aus der Zeit des 1. Weltkriegs. Historikerinnen haben die Sütterlin-Texte entziffert. Mitte: Besucher des Museu
Besucher des Museumsfests in historischen Kleidern. Freigestellte Personen aus der „Green Box“ wurden später in alte Kirchheimer Ansichten „montiert“.  Foto: Günter Kahlert

Diese nette Geschichte führt mitten hinein ins Museumsfest. Wie jedes Jahr findet es am 3. Oktober, dem „Tag der Deutschen Einheit“, statt. Und wie jedes Jahr gibt es ein Motto: „Grüße aus Kirchheim unter Teck“. Sehr passend, feiert die Postkarte doch dieses Jahr ihr 150. Jubiläum. Als „Correspondenz-Karte“ am 1. Oktober 1869 zuerst in Österreich eingeführt, löste die preiswerte kleine Pappe wenig später auch in deutschen Landen einen regelrechten „Hype“ aus. Das Museum spendiert den rund 900 Besuchern Malvorlagen im Postkartenformat: eine historische Ansicht der Max-Eyth-Straße und ein verspieltes Kindermotiv. „Grüße aus Kirchheim“ können angemalt und verschickt werden. Ein Briefkasten hängt an der Wand.

Ein echter „Hingucker“ ist für die Besucher die Green-Box. „Das Museum hat hier ein richtig gutes Fotostudio aufgebaut“, freut sich Johannes Stortz. Der Kirchheimer Fotograf hat nur noch ein paar eigene Scheinwerfer dazugestellt und seine Kameras mitgebracht. Wer mag, staffiert sich erst mal mit Umhängen oder Mänteln aus der Zeit um 1900 aus. Es finden sich auffällige Hüte, für Kinder auch gerne ein Matrosenanzug. Jetzt noch rasch Aufstellung nehmen vor der hellgrünen Studiowand, allein oder in Gruppen, das darf gerne altmodisch aussehen.

Erst ausmalen, dann verschicken: Ansicht aus der Max-Eyth-Straße. Foto: Günter Kahlert

Damit ist das „historische“ Foto aber noch nicht fertig. Stortz wird die digitalen Bilder mit „Photoshop“ bearbeiten, die Menschen vom grünen Hintergrund herauslösen und dann so in alte Kirchheimer Motive einbauen, dass man denkt, das Foto sei genau dort entstanden.

Wer „Grüße aus Kirchheim“ verschickt, der will vielleicht auch wissen, wie die Menschen vor hundert Jahren geschrieben haben. Es gibt nur noch wenige, die „Sütterlinschrift“ lesen oder gar schreiben können, denn ab 1942 wurde die Schrift von den lateinischen Buchstaben abgelöst, also der heute normalen Schreibschrift. Aber einen Versuch ist es wert. Es gibt Buchstaben-Vorlagen dazu. Dass am „Schulpult“ nicht mit Kuli oder Füller, sondern mit einer Stahlfeder geschrieben wird, erschwert das Experiment. Patronen gibt es nicht, sondern ein Tintenfass. Das ist ganz schön knifflig, und bis da mal ein paar Buchstaben gekritzelt sind, dauert das ganz schön lange. Und ohne Kleckse auf Händen und Papier geht’s meistens auch nicht ab.

Ebenso ungewohnt ist es auch, mit der alten Schreibmaschine Marke „Torpedo“ zu tippen. Sie dürfte aus den 20er- oder 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts stammen. Logisch: Kinder wissen nicht, wie man das Papier ein­spannt. Tippen klappt auch nicht bei jedem, denn mit zwei Daumen geht’s halt nicht. Es gibt keine Löschtaste und „Tipp-Ex“ wurde erst Ende der 50er-Jahre erfunden.

Draußen unter den Arkaden des Kornhauses findet ein Workshop statt. Museumspädagogin Heidi Schubert zeigt, wie die alte Handwerkstechnik des Papierschöpfens funktioniert. Mithilfe eines vier­eckigen feinen Siebes schöpft der „Lehrling“ aus einer Wanne einen feinen Faserbrei heraus. Die sogenannte „Pulpe“ besteht aus Wasser und Zellulose. Die Masse, die im Sieb hängenbleibt, wird kräftig ausgedrückt und muss zwei Tage trocknen. Der gesamte Prozess bedeutet einen ziemlichen Aufwand, deshalb wird Büttenpapier heute meist industriell hergestellt. Ein handgeschöpftes Büttenpapier ist, das haben die teilnehmenden Kinder auf jeden Fall erkannt, etwas ganz Wertvolles und nur für besondere Anlässe.