Kirchheim

Unehrlicher Finder räumt Sparbuch leer

Bank Jahrzehntelang zahlt Lieselotte Roll Geld auf das Sparbuch ihres Enkelsohns ein. Nach ihrem Tod gerät das Sparbuch in falsche Hände, und damit auch das Geld. Von Antje Dörr

Wer sein Sparbuch geplündert hat, weiß Jan Schultheiß bis heute nicht.Symbolfoto:Jean-Luc Jacques
Wer sein Sparbuch geplündert hat, weiß Jan Schultheiß bis heute nicht. Symbolfoto:Jean-Luc Jacques

Ein Sparbuch bietet Ihnen größtmögliche Sicherheit für Ihr Erspartes“. So wirbt die Volksbank auf ihren Internetseiten für eine Art der Geldanlage, die in Deutschland immer noch sehr populär ist. Es ist ein Satz, der Jan Schultheiß wie blanker Hohn vorkommen muss. Denn ein Fremder hat das Sparbuch leergeräumt, das seine Großmutter für ihn anlegte, als er zwei Jahre alt war. Und die Volksbank Kirchheim-Nürtingen, sagt er, habe es nicht verhindert.

Jan Schultheiß, 40 Jahre alt, geboren in Mosbach, ist Stadtplaner und Kunsthistoriker, mit Abschlüssen in Harvard und an der Roosevelt University. Heute arbeitet er in leitender Funktion in einem Berliner Stadtplanungsbüro. Man glaubt ihm, wenn er sagt, dass es ihm nicht hauptsächlich um die rund 1 500 Euro geht, die seine Ötlinger Großmutter zwischen 1979 und 2005 für ihn angespart hat - auch wenn es ihm offenkundig weh tut, dass das Geld, das sie „in mühsamer und liebevoller Sparsamkeit“ gesammelt hat, einem Fremden zugute gekommen ist. „Ich will, dass anderen eine solche Erfahrung erspart bleibt“, sagt Schultheiß. Das Sparbuch ist für ihn ein „antiquiertes und unsicheres Zahlungsmittel“, die Verfahren müssten zum Schutz der Kunden verbessert werden.

Oma spart jahrelang Geld an

Doch von Anfang an: 1979 legt Schultheiß‘ Großmutter Lieselotte Roll im Namen ihres Enkels ein Sparbuch an, auf das sie jahrzehntelang kleine Beträge einzahlt, unter anderem Teile ihres Organistinnengehalts in Lenningen. Im Sommer 2005 verstirbt Lieselotte Roll nach kurzer Krankheit, ihr dementer Mann rund ein halbes Jahr später. „Dass es ein Sparbuch gibt, war uns durch zahlreiche Erwähnungen meiner Großmutter bekannt“, sagt Jan Schultheiß. Über Details habe ihn die Großmutter nicht mehr informieren können. Im Sommer 2006 wird das Haus der Großeltern aufgelöst. Jan Schultheiß, der erst 2015 aus einem alten Brief von der Existenz des Sparbuchs bei der Volksbank erfährt, vermutet, dass das Sparbuch bei der Hausauflösung in die falschen Hände geraten ist.

Im Sommer 2006, also kurz nach der Auflösung des großelterlichen Hauses, zahlt die Volksbank-Filiale in der Stadtmitte fast das gesamte Guthaben über 1500 Euro an eine Person aus, die den Angestellten laut Auszahlungsbeleg „persönlich bekannt“ ist. Am 26. Juni werden 500 Euro abgehoben, rund 14 Tage später am 10. Juli noch einmal 1 000 Euro. Auf den Auszahlungsbelegen, die der Redaktion vorliegen, steht Schultheiß‘ Name als eigentlicher Inhaber des Sparbuchs. Einen Ausweis oder eine andere Form der Identifikation verlangt die Bank nicht von dem Kunden.

Kunde beißt auf Granit

Als Schultheiß 2015 von der Existenz des Sparbuchs erfährt und Mitarbeiter sowie Vorstand zur Rede stellt, beißt er auf Granit. „Die Bank ging auf meine Bitte, mir den Betrag zurückzuzahlen, nicht ein“, sagt Schultheiß. Er ruft die Schlichtungsstelle des Bundesverbands für Deutsche Volksbanken und Raiffeisenbanken an. Der neutrale Ombudsmann gibt ihm recht: Das Sparguthaben stehe ihm zu. Die Bank habe „grob fahrlässig“ gehandelt, weil sie den Betrag ausgezahlt habe, obwohl sich der Verdacht habe aufdrängen müssen, dass der Vorleger des Sparbuchs nicht der Kontoinhaber gewesen sei. Über das Verhalten der Volksbank in diesem Fall fällt der Ombudsmann ein vernichtendes Urteil: „Es muss der Eindruck entstehen, dass die Bank sehenden Auges das Guthaben an einen Nichtberechtigten ausgezahlt hat.“ Die Volksbank gibt sich weiterhin unbeeindruckt. Sie lehnt den Schlichtungsvorschlag ab.

Jan Schultheiß gibt nicht auf. Er reicht Klage beim Amtsgericht Nürtingen ein. Sie endet mit einem für ihn unbefriedigenden Vergleich. Statt der geforderten 1 500 Euro plus Zinsen erhält er nur 400 Euro von der Volksbank. Am Ende muss er 73 Prozent der Kosten des Rechtsstreits bezahlen, die Bank 27 Prozent. Die Vergleichszahlung deckt gerade einmal die Gerichtskosten. Über die Argumentation der Richterin kann Schultheiß nur den Kopf schütteln. „Die Bank, so die Richterin, habe zwar möglicherweise eine Verletzung der Nebenpflicht begangen. Die daraus resultierende Wiedergutschrift hänge aber von der Vorlage des Sparbuchs ab“, erinnert sich der Enkelsohn. „Dass ich das Sparbuch nicht hatte, war aber doch der Grund für den ganzen Vorfall!“ Obwohl Jan Schultheiß sich weiterhin im Recht sieht, legt er keinen Widerspruch ein, um seiner Familie die emotionale Belastung und die Mühe zu ersparen, nach Kirchheim zu kommen, um vor Gericht auszusagen.

Bank weist Vorwürfe zurück

Laut Markus Weber, Sprecher der Volksbank Kirchheim-Nürtingen, ist die Bank nicht verpflichtet, die Berechtigung des Sparbuchvorlegers zu prüfen. „Zum Zeitpunkt der fraglichen Auszahlungen lagen keine Sperren oder eine Verlustmeldung vor, die ein Misstrauen hätten erwecken können“, sagt er. Nach den Sonderbedingungen für den Sparverkehr habe der Mitarbeiter seinerzeit richtig gehandelt. Eine Auszahlung könne nur verweigert werden, wenn aufgrund von Alter oder Geschlecht offensichtlich sei, dass es sich nicht um den Kontoinhaber handle. Auf die Frage, warum sich die Identität des Sparbuchvorlegers nicht überprüfen lasse, wenn auf den Auszahlungsbelegen vermerkt gewesen sei, dass er „persönlich bekannt“ sei, antwortet Weber: „Die beteiligten Mitarbeiter der Volksbank können sich heute nach mehr als zehn Jahren weder an den Auszahlungsvorgang noch an die Identität des Vorlegers erinnern.“

Bei korrekter Aufbewahrung sei das Sparbuch ein sicheres Zahlungsmittel sagt Weber. „Wir empfehlen Sparbücher und Urkunden sicher zu verwahren - entweder an einem sicheren Ort zu Hause, zum Beispiel in einem Tresor, oder in einem Schließfach unserer Bank.“ Bei Verlust solle der Kunde sich dringend bei der Bank melden, den Verlust anzeigen und das Sparbuch für Verfügungen sperren lassen. Die Sicherheit der Mitglieder und Kunden, so Weber, habe für die Bank oberste Priorität.