Kirchheim. Innerhalb von fünf Tagen hatte die Stadtverwaltung eine „Bürgerinformationsveranstaltung“ angesetzt. War das wirklich reine „Vergesslichkeit“ der Rathausmitarbeiter, wie Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker in einem Erklärungsversuch feststellte? Sie erntete dafür süffisantes Gelächter. Das Evangelische Gemeindehaus in der Hermann-Hesse-Straße platzte bei der Blitzversammlung am Freitagabend dennoch aus allen Nähten.
Die Stadt sucht fieberhaft nach weiteren Grundstücken, die so schnell wie möglich fit gemacht werden können für den Neubau von Wohnungen. Sie wurde unter anderem im nördlichen Randgebiet von Ötlingen fündig. Das Bauamt hat dort eine kleine Grünanlage mit 31 Parkplätzen ins Visier genommen und will diese Fläche per Bebauungsplanänderung schleunigst umwidmen. Später können dort zwei Häuser mit acht Wohnungen für 44 Personen gebaut werden.
Die Lage ist nach wie vor ernst. Nach derzeitigem Stand der Dinge muss Kirchheim bis 2017 geschätzte 680 Menschen aus den Sammelunterkünften des Landkreises in richtigen Wohnungen unterbringen. Selbst wenn die Flüchtlingszahlen momentan leicht rückläufig sind, gibt es für sie noch immer viel zu wenig Wohnraum. Noch gar nicht berücksichtigt sind Familienangehörige, die eventuell nachgeholt werden dürfen. „Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat diese Zahlen schlicht und ergreifend nicht erhoben, wir wissen es einfach nicht“, klagt die Oberbürgermeisterin und rechnet mittelfristig mit mindestens 1 000 Personen.
Es gäbe laut Matt-Heidecker in Kirchheim nicht wie angenommen 700, sondern nur 455 „leer stehende“ Wohnungen. Diese seien aber häufig unbewohnbar oder von den Eigentümern für späteren Eigenbedarf vorgesehen. „Wir bringen trotz einer groß angelegten Aktion höchstens 30 bis 40 Personen in privaten Mietwohnungen unter“, so die Erkenntnis von Herbert Müller, beim Sozialamt zuständig für Flüchtlingsangelegenheiten. Etwa 30 von insgesamt 200 städtischen Wohnungen werden zurzeit saniert und können bis Jahresende bezogen werden. Alles in allem nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.
Einige der circa 150 Ötlinger hatten dennoch wenig Verständnis für die Stadtverwaltung, die momentan alle Register zieht, um erst mal planungsrechtliche Voraussetzungen für Neubauten in allen Stadtteilen zu schaffen. Die Stadt denkt mittlerweile in kleinen Einheiten von maximal je zwei Häusern, entweder zwei- oder dreigeschossig. Um die gleiche Anzahl von Personen dezentral unterzubringen, braucht man logischerweise mehr Standorte im gesamten Stadtgebiet. So auch die relativ kleine Fläche im Ötlinger Ginsterweg, weitere Überlegungen gibt es in Ötlingen für den Bereich Farrenstall und Uracher Straße.
Neben den Bürgern, die sachliche Fragen stellten, meldeten sich in Ötlingen auch wieder einige zu Wort, die grundsätzliche Probleme mit Menschen anderer Haut- oder Haarfarbe haben. Einer meinte, dass er seine Frau und seine Kinder „schützen“ müsse, dass sich vielleicht die Oberbürgermeisterin an Vorschriften zu halten habe, „wir“ (die Bürger) jedoch nicht. Da musste Angelika Matt-Heidecker ihm allerdings einen kleinen Grundkurs in Sachen Demokratie und Grundgesetz geben.
Andere Versammlungsteilnehmer fürchteten um den Wert ihrer Immobilie im Wohngebiet Tobel-Zoller-Halde. Sie meldeten auch Bedenken wegen der Verkehrssicherheit an und wegen der begrünten Pultdächer, die vielleicht nicht zur Umgebung passen. Ein heißes Eisen war auch der Familiennachzug und die leise Befürchtung, dass im Ginsterweg bald „Sodom und Gomorrha“ herrscht, wenn die neuen Wohnungen bald durch Angehörige überfüllt sein könnten.
Die Bebauungsplanänderung steht aktuell bereits auf der Tagesordnung des Kirchheimer Gemeinderats. Auf Anraten des Ortschaftsrats Ötlingen und des Technischen Ausschusses werden die Ratsmitglieder die Beschlussfassung jedoch vermutlich auf die Julisitzungsrunde vertagen.