Kirchheim
Urteil im Messerstecherprozess: Keine Notwehr – aber eine Art Selbstjustiz

Prozess Der Kirchheimer Messerstecher kommt für drei Jahre und neun Monate hinter Gitter.

Kirchheim. Keine Notwehrtat – so entschied das Stuttgarter Landgericht gestern und verurteilte gestern nach zweimonatiger Hauptverhandlung einen 23-jährigen Afghanen wegen Totschlagversuchs und gefährlicher Körperverletzung an einem 27-Jährigen zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Die Tat hatte sich am Abend des 11. Juli vergangenen Jahres in der Kirchheimer Innenstadt zugetragen (wir berichteten).

Der aus Kabul stammende und im Jahre 2016 nach Deutschland eingereiste Angeklagte hatte zu Beginn seines Prozesses Ende November letzten Jahres behauptet, dass er das eigentliche Opfer einer Messerattacke gewesen sei und er letztlich dann in Notwehr auf seinen angeblichen Angreifer eingestochen habe. Der Mann sei in Kampfeshaltung auf ihn zugestürmt und habe dann mit einem Messer versucht, auf ihn einzustechen. Zudem sei er mit einem Schlagring gegen ihn vorgegangen. Das Opfer habe versucht, ihn umzubringen.

Opferrolle erscheint unglaubwürdig

Diese Version glaubten ihm die Richter der Stuttgarter Schwurgerichtskammer allerdings nicht und gingen laut dem Urteil davon aus, dass es der 23-Jährige gewesen war, der an jenem 11. Juli-Abend ohne Vorwarnung das Messer mit der 22 Zentimeter langen Klinge gegen den Mann einsetzt und ihn durch zwei wuchtige Stiche und Schnitte am Kopf erheblich schwere Verletzungen beigebracht habe.

Der Vorsitzende Richter der Strafkammer betonte in dem Urteil ausdrücklich, dass eine sogenannte Selbstjustiz in Deutschland verboten ist, da der Angeklagte nach seinen Worten dem Opfer die Messerstiche beibrachte, weil dieser ihn drei Monate zuvor bei einer Schlägerei verletzt hatte.

Deshalb wollte der Angeklagte es dem Opfer an jenem 11. Juli heimzahlen. Das Tatmesser hatte er laut dem Urteil extra dafür gekauft. Am Tattag gegen 20 Uhr habe er dann zufällig das Opfer in der Jahnstraße in Kirchheim auf dem Weg zum Bahnhof getroffen. Nach kurzem Wortwechsel hatte er dann das Messer aus der Tasche gezogen und damit in Richtung Kopf des 27-Jährigen eingestochen. Zuvor jedoch hatte er ihm auch einen Faustschlag verpasst. Mit den beiden Stichen, so das Urteil, habe der Beschuldigte den möglichen Tod seines Gegenübers in Kauf genommen. Ein Angriff des Opfers gegen ihn selbst habe nicht stattgefunden.

Während der Urteilsverkündung versuchte der Angeklagte ständig, den Gerichtsvorsitzenden mit Bemerkungen zu unterbrechen und musste mehrfach zurecht gewiesen werden. Ein Verfahren gegen das Opfer selbst bezüglich des Angriffs gegen den Angeklagten drei Monate vor der Tat wurde nicht eingeleitet, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte. Nach der Verbüßung der verhängten Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten muss der Verurteilte mit seiner Abschiebung nach Afghanistan rechnen. Bernd Winckler