Kirchheim
Vogelgrippe: Hausarrest für Hühner

Landwirtschaft Freiland-Hühner im Landkreis Esslingen leben momentan ein bisschen weniger glücklich als sonst: Aufgrund der Vogelgrippe müssen Halter sie einsperren. Ein Besuch im Stall. Von Antje Dörr

Über die Wiesen beim Ziegenhof Holzer in Hochdorf pfeift ein eisiger Wind. Aus den Hühnermobilen, die neben den Ziegenställen stehen, ist lautes Gegacker zu hören. An normalen Tagen stehen die mobilen Hühnerhäuser ringsum auf Hochdorfer Wiesen. Spätestens um 9.30 Uhr öffnet sich die Klappe, und eine große Schar brauner Hühner drängt ins Freie. Doch momentan ist für Geflügelhalter gar nichts normal: Seit im Landkreis Esslingen weitere Vögel gefunden wurden, die an der sogenannten Vogelgrippe verendet sind, gilt für Enten, Hühner, Gänse und anderes Geflügel Stallpflicht. Die Bio-Hennen müssen also drinnen bleiben.

Andrea Holzer steigt mit sicherem Schritt die wacklige Holztreppe empor, einen Eimer mit Getreide in der Hand. Der ist als Ablenkung gedacht, damit die Tiere nicht das Weite suchen, sobald die Tür sich öffnet. Sie streut eine Handvoll Körner auf den Boden. „Im Moment sind die Hühner total friedlich. Ich hoffe, es bleibt so“, sagt Holzer. Trotz der großen Zahl an Hennen wirkt das Hühnermobil nicht überfüllt. Der Scharrraum, der 99 Hennen und Hahn zur Verfügung steht, ist laut Holzer größer und höher als üblich, „sodass die Hühner auch mal flattern können“. Der Boden ist mit einer Mischung aus Hackschnitzeln und Rindenmulch bedeckt, dazu bringen Holzer und ihr Mann den Tieren Öhmd, Gras und Heu, damit sie beschäftigt sind. Auch Picksteine geben den Tieren etwas zu tun. Das ist wichtig, damit die Tiere nicht aggressiv werden und aufeinander losgehen. Andrea Holzer wirkt gelassen, auch wenn sie so eine Situation noch nie erlebt hat. „Es gibt Bodenhaltungshühner, die ihr ganzes Leben lang weniger Platz haben“, sagt sie. „Aber es macht natürlich mehr Spaß, sie rauszulassen.“

Andrea Holzer, umringt von ihren Hennen: In den nächsten Wochen müssen die Tiere im Stall bleiben. Foto: Carsten Riedl

Den Ziegenhof Holzer gibt es in jetziger Form erst seit Dezember 2020. Davor hatten die Holzers weniger Tiere und waren auf dem Nachbarhof eingepachtet. Seit 2016 halten Andrea Holzer und ihr Mann Tim Hühner in zwei Hühnermobilen, die auf verschiedenen Wiesen stehen. Der Standortwechsel tut den Böden gut, die sich zwischendurch von den scharrenden Tieren erholen können. Je 100 leben in einem Hühnermobil und versorgen die Holzers mit Bio-Eiern, die sie in ihrem Hofladen und auf drei Wochenmärkten verkaufen, unter anderem auch auf dem Kirchheimer Wochenmarkt. Ziegen sind jedoch das Hauptstandbein der beiden. Aktuell werden täglich 70 Ziegen gemolken. Daraus stellen die Holzers Käse in der hofeigenen Käserei her. Auch ganze Suppenhühner und Zickleinfleisch sind auf dem Hof erhältlich.

Dass die Hühner eigentlich an die frische Luft gehören, daran gibt es für Andrea Holzer keinen Zweifel. „Sobald die Klappe aufgeht, sind sie draußen. Nur eine geschlossene Schneedecke hält sie davon ab, rauszugehen“, sagt die Landwirtin. Dennoch hält sie sich selbstverständlich an die Stallpflicht, auch wenn sie weiß, dass viele private Hühnerhalter das nicht tun. „Wenn ein Tier infiziert wäre, müssten wir alle keulen und verbrennen lassen“, sagt Holzer. Neben dem wirtschaftlichen Schaden, der ihr entstünde, geht es ihr vor allem um die Tiere. „Das wäre so ein sinnloser Tod“, sagt sie. 

In diesen Hühnermobilen leben rund 100 Tiere. Foto: Carsten Riedl

Ein weiterer Hühnerhalter, der sich etwas hat einfallen lassen müssen, ist der Notzinger Markus Hägele. Der Bio-Landwirt hat an seinen Mobilstall, der vom Freitagshof kommend am Ortseingang steht, ein Partyzelt angebaut, damit seine Freilandhühner wenigstens etwas Auslauf haben. 32 Quadratmeter sind allerdings kein Vergleich dazu, was die Tiere sonst zur Verfügung haben. Und dennoch: „Meine Tiere sind momentan noch relativ locker drauf“, sagt Hägele. Damit das so bleibt, investieren seine Frau und er deutlich mehr Zeit als bisher. „Nachmittags kriegen die Hühner einen zusätzlichen Snack, meistens Bio-Salat, damit sie auch wirklich beschäftigt sind“, sagt der Nebenerwerbs-Landwirt. Auch Futterbälle sorgen für Abwechslung. In dem Partyzelt sei eine Einstreu, damit die Hühner scharren könnten. Statt zwei Mal am Tag müsse man jetzt drei bis vier Mal am Tag nach den Tieren sehen. „Das kann ich nicht drauflegen auf den Eierpreis“, sagt Hägele. Er hofft, dass die Stallpflicht bald wieder zu Ende ist und die Tiere raus dürfen. „Die Situation ist nicht angenehm für die Hühner und die Hühnerhalter“, sagt er. „Aber wir versuchen das Möglichste, dass es den Tieren gut geht.“ 

Bisher keine Ausbrüche im Landkreis

Die Vogelgrippe breitet sich seit Wochen im Südwesten Deutschlands aus. Eine flächendeckende Stallpflicht gilt in Baden-Württemberg nicht. Im Landkreis Esslingen hingegen müssen Hühner mindestens bis zum 31. März drinnen bleiben, oder der Auslauf muss so umgestaltet werden, dass der Kontakt zu Wildvögeln unmöglich ist und die Tiere vor deren Kot geschützt werden.

Unterdessen ist das hochpathogene Influenza-A-Virus des Subtyps H5N1 bei einer weiteren Möwe in Oberesslingen nachgewiesen worden. Das teilt das Amt für Veterinärwesen und Lebensmittelüberwachung des Landkreises Esslingen auf Anfrage mit. Es handelt sich damit um den fünften Virusnachweis bei einer Möwe im Landkreis. „Diese Vögel sind zwar grundsätzlich an den Neckar gebunden, sie bewegen sich bei geeignetem Nahrungsangebot aber durchaus in erheblicher Entfernung abseits des Gewässers“, so Kreis-Sprecherin Andrea Wangner. „Eine akute Infektionsgefahr für Geflügelhaltungen im Kreisgebiet ist also gegeben und durchaus hoch, auch wenn der Schwerpunkt des Tierseuchengeschehens derzeit nicht im Landkreis Esslingen liegt.“

Zu Ausbrüchen in Geflügelhaltungen sei es noch nicht gekommen. In Mastbetrieben in Bayern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern mussten Tausende Enten und Puten gekeult werden, nachdem das Virus H5N1 nachgewiesen worden war.

Laut Landratsamt gehen seit dem Wochenende vermehrt Hinweise zu Verstößen gegen die sogenannte Aufstallungspflicht beim Veterinäramt ein. Die Tierhaltungen würden daraufhin kontrolliert und auf die erforderlichen Maßnahmen hingewiesen. „Sollte der direkten Aufforderung nicht nachgekommen werden, können verwaltungsrechtliche Maßnahmen und hohe Bußgelder erlassen werden“, so Wangner. Bereits die unterlassene Anmeldung der Tiere beim Veterinäramt stelle eine Ordnungswidrigkeit dar. Es dauere jedoch erfahrungsgemäß einige Tage, bis der Erlass eines Aufstallungsgebots bei allen Tierhaltern ankomme. adö