Kirchheim
Von aufrechten Menschen aus Notzingen

Gedenkstunde In der Martinskirche wurde an die Opfer der Reichspogromnacht erinnert. Ein Vortrag erinnert an eine Notzinger Gruppe von Widerständlern. Von Silja Kopp

Kirchheims Bürgermeister Günter Riemer zeigt sich erschüttert über neue Studien, die zeigen, wie wenig die jungen Generationen über die Reichspogromnacht wissen: „Viele junge Menschen erinnern sich daran, dass an einem 9. November die Mauer fiel. Aber nur sehr wenige bringen das Datum mit der Reichspogromnacht in Verbindung. Deshalb ist es umso wichtiger, an dieses Ereignis immer wieder zu erinnern“, sagt er bei der Gedenkstunde zur Reichspogromnacht in der Martinskirche in Kirchheim.

In seiner Kindheit habe er schon gemerkt, wie unterschiedlich die Deutschen die Vergangenheit wahrgenommen haben und wie wichtig es sei, aufgeklärt zu sein. „Mein einer Großvater hat in Wellingen und mein anderer in der DDR gelebt. Während der eine den Krieg total grausam fand, hat der andere die Ereignisse immer verharmlost und heruntergespielt“, erzählt er. Von seinem Großvater aus Wellingen wird im Verlaufe des Abends noch später die Rede sein.

Rassenideologie in der Kirche

Der Antisemitismus der Nazis ist Gegenstand eines Vortrags von Viktoria Michels, Felix und Amelie Holighaus und dem ehemaligen Lehrer Peter Treuherz vom Schlossgymnasium Kirchheim. Die Schüler und Schülerinnen der Kursstufe veranschaulichen, wie die nationalsozialistische Weltanschauung nach und nach in die deutsche Gesellschaft einzog und nicht nur da: Die Rassenideologie gewann auch in den Kirchen zunehmend an Raum. Begonnen hatten die Nazis mit der Erschaffung der Reichskirche 1933, deren Gruppierung als die „Deutschen Christen“ bekannt ist. Fast alle Kirchen in Deutschland knickten vor dem Nationalsozialismus ein, mit Ausnahme der Landeskirchen in Hannover, Bayern und Württemberg.  Als Widerstand gegenüber der nationalsozialistischen Gleichschaltung der Kirchen wurde der Pfarrernotbund gegründet, daraus entwickelte sich die „Bekennende Kirche“.

Widerstand gegen das Regime

Bei der Gedenkstunde wird aber auch an die Menschen erinnert, die aktiv gegen das nationalsozialistische Regime gekämpft haben. „Oft hat der Widerstand in dieser Zeit gefehlt. Umso wichtiger ist es, den Mut der damaligen Kämpfer anzuerkennen“, sagt der Pfarrer der Martinskirche Jochen Maier.

Wolfgang Kalmbach ist der Vorstandsvorsitzende des „Arche“- Wohnverbunds in Notzingen und war als Religionspädagoge tätig. Unter dem Titel „Zu viert widerstehen“ hält er an diesem Abend einen Vortrag über vier Widerstandskämpfer in Notzingen. Dabei zeigt er auch Bild- und Tondokumente. Der Ort war in der Zeit um 1938 eine Hochburg der Deutschen Christen und wurde von einem nationalsozialistischen Pfarrer dominiert. Immer mehr Bewohner und Bewohnerinnen  schlossen sich dieser rassistischen und  antisemitischen Strömung des deutschen Protestantismus an. 

Zu den Notzinger Widerstandskämpfern zählte auch der Vikar der Bekennenden Kirche, Siegfried Weller. Er wurde 1938 in die Bodenbachgemeinde versetzt und bildete zusammen mit Irmgard Gräter, einer staatlichen Lehrerin, eine Widerstandsgemeinde gegen die Reichskirche. Viele geheime Gespräche wurden damals in der Gaststätte Hirsch geführt. Die Wirtsfrau Berta Niefer passte während den Gesprächen auf, dass keine Spitzel des NS-Regimes in der Nähe waren.

Barz besaß nötigen Mut

Als damals niemand den Mut hatte, Siegfried Weller ein Zimmer anzubieten, tat  das die Familie Barz. Gottlieb Barz ist Günter Riemers Großvater, den dieser zu Beginn des Abends erwähnt hatte. Barz war ein mutiger Mann: Der Widerständler war Vorsitzender der Notzinger Sozialdemokraten, verteilte nachts Flugblätter und hängte Hetzplakate ab. Seine Taten blieben freilich nicht folgenlos: Er musste sich als „Bekenner“ verspotten lassen, zudem wurde ihm mit dem Konzentrationslager gedroht.

Die Angst vor dem KZ war groß unter den Widerstandskämpfern, aber ihre Überzeugung war stärker. „Das darfst du dir als Christ nicht gefallen lassen“, sagte Gottlieb Barz einmal. Aus seinem Glauben Heraus schöpfte er Mut und Hoffnung für den Widerstand. „Diese mutigen Menschen können wir uns als Vorbild nehmen“, sagte Markus Geiger vom Evangelischen Bildungswerk des Landkreises zum Abschluss der Veranstaltung.