Kirchheim
Warnstreik: Erzieherinnen machen ernst

Tarifkonflikt Zahlreiche Erzieherinnen und Erzieher sind dem Aufruf der Gewerkschaft Verdi gefolgt und haben die Arbeit niedergelegt. In Kirchheim blieben viele Kindertagesstätten geschlossen. Von Antje Dörr

Auf dem Kirchheimer Marktplatz haben sich über hundert Menschen versammelt. Einige tragen gelbe „Verdi-Warnwesten“ und schwenken Fahnen. Auch einige Eltern und Großeltern mit Kindergartenkindern sind gekommen, um Solidarität mit den Erzieherinnen und Erziehern zu zeigen, die dem Aufruf der Gewerkschaft Verdi gefolgt und in Warnstreik getreten sind. „Heute ist kein Arbeitstag, heute ist Streiktag“, skandieren sie. Zahlreiche Kirchheimer Kitas bleiben geschlossen, Eltern müssen selbst für Betreuung sorgen. Dieser Tag ist ein Vorgeschmack auf das, was passieren kann, wenn die Arbeitgeber weiterhin kein Angebot vorlegen, das die Gewerkschaften zufrieden stellt. Im äußersten Fall könnten die Erzieherinnen unbefristet streiken – und die Kitas wochenlang geschlossen bleiben.

Erzieherinnen streiken auf dem Marktplatz für mehr Lohn. Eltern und Großeltern unterstützen den Protest. Foto: Carsten Riedl

Auch Simone Selck und Elena Kloster haben heute die Arbeit niedergelegt, um für bessere Bezahlung zu demonstrieren. 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro mehr, fordert die Gewerkschaft verdi für ihre Beschäftigten – eine Forderung, die die Arbeitgeber bislang nicht erfüllen wollen. „Natürlich streiken wir heute für mehr Geld, aber wir streiken auch, weil die Bedingungen schlecht sind“, sagt Selck, die Erzieherin im Rauner-Kindergarten ist und sich mehr Aufmerksamkeit für ihren Berufsstand wünscht. Aus ihrer Sicht müsste vieles verbessert werden, damit der Beruf wieder Freude macht, Kinder gefördert statt nur aufbewahrt werden und Erzieherinnen nicht vor lauter Belastung die Flucht ergreifen. „Wir bräuchten beispielsweise weniger Kinder in der Gruppe, statt immer mehr“, sagt Selck. Je voller die Gruppen würden, desto mehr Erzieherinnen würden aufhören. Ein Fachkräfte-Problem hat der Rauner-Kindergarten aktuell gar nicht, aber einen Puffer gibt es eben auch nicht. „Sobald jemand krank ist, Urlaub hat oder Überstunden abbauen muss, müssen wir uns gegenseitig vertreten. Deshalb haben wir praktisch keine Vorbereitungszeit“, klagt eine Kollegin, die anonym bleiben möchte. Von dem Springer-Pool, den die Stadt Kirchheim hat, würden sie kaum profitieren. „Die Springkräfte sind dauerhaft in Einrichtungen gebunden, in denen viel Personal fehlt“, sagt Selck. Deshalb müsse die Kita immer wieder Öffnungszeiten einschränken.

Foto: Carsten Riedl

Indes stimmt Madeleine Glaser von Verdi die Erzieherinnen auf den Arbeitskampf ein. „Mehr – für uns – ist besser für alle“, singen die Demonstrierenden. „Lauter. Ruft es so laut, dass es auch der Bürgermeister im Rathaus hört“, ruft die stellvertretende Bezirksgeschäftsführerin ihnen zu. Neben vielen Erzieherinnen sind auch einige Mitarbeiter der Stadtverwaltung und der Medius-Kliniken auf den Marktplatz gekommen. Glaser verteidigt die Forderung der Gewerkschaft. „Manche sagen, sie sei unverschämt. Ich sage, sie ist genau die richtige Forderung zu genau der richtigen Zeit“, sagte Glaser unter dem Applaus der Demonstrierenden.

Das Angebot, das die Arbeitgeber in der vorletzten Woche vorgelegt hätten, sei ein Schlag ins Gesicht. Ab dem 1. Oktober soll es drei Prozent mehr Lohn geben, ab dem 1. Juni 2024 noch einmal zwei Prozent mehr. Die Laufzeit soll 27 Monate betragen. Dazu sollen Inflationsausgleichszahlungen von insgesamt 2500 Euro kommen. „Auch wenn die Einmalzahlung gut klingt, bringt sie uns auf lange Sicht nichts“, sagt Glaser. Die Preise würden vielleicht nicht mehr ganz so stark steigen, sinken würden sie aber auch nicht mehr. „Und neue Fachkräfte kommen auch nicht wegen einer Einmalzahlung, sondern die schauen, was sie bis zur Rente beim Arbeitgeber verdienen“, so die Gewerkschafterin. 

Foto: Carsten Riedl

Die Forderung der Arbeitgeber, Möglichkeiten zur Absenkung von Gehältern und Sonderzahlungen oder die Verlängerung von Stufenlaufzeiten für Krankenhäuser und soziale Einrichtungen im Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes zu verankern, bezeichnete Glaser als „Schlag in die Magengrube“. „Die unglaublichen Leistungen während der Pandemie sind offenbar dem Gedächtnisverlust der Arbeitgeber zum Opfer gefallen.“ 

 

Diese Kitas sind am Tag des Warnstreiks geschlossen geblieben: 

Aichelberg-Kindergarten

Eduard-Mörike-Kindergarten

Konrad-Widerholt-Kindergarten

Milcherberg-Kindergarten

Rauner-Kindergarten

Schafhof-Kindergarten

Senefelder-Kindergarten

Teck-Kindergarten

Reußenstein-Kindergarten (Jesingen)

Käppele-Kindergarten (Jesingen)

 

In diesen Kitas gab es ein eingeschränktes Betreuungsangebot: 

Freiwaldau-Kindergarten

Hafenkäs-Kindergarten

Halden-Kindergarten

Westerbach-Kindergarten

 

Im Schulbereich blieben folgende Einrichtungen geschlossen: 

Kernzeitbetreuung Nabern

Konrad-Widerholt-Grundschule und Außenstelle Schafhof

Konrad-Widerholt-Förderschule SBBZ

 

Eltern stärken Erzieherinnen den Rücken

Der Protest der Erzieherinnen wird vom Gesamtelternbeirat (GEB) der städtischen Kirchheimer Kitas unterstützt. Die Eltern leiden seit Jahren unter mangelnder Verlässlichkeit der Betreuung. Immer wieder wird kritisiert, dass Kitas kurzfristig schließen müssen. „Jedes der Probleme, die wir immer wieder bei der Stadt anmerken, lässt sich auf zu wenige Fachkräfte zurückführen“, sagt Melanie Sindlinger vom GEB. Teilweise versuchten Kindergärten, die Teilschließungen zu umgehen und den Betrieb aufrechtzuerhalten. „Am Ende des Tages leidet die Betreuung und auch die Gesundheit der Erzieher“, sagt die neue Vorsitzende des Gesamtelternbeirats. Der GEB wünscht sich von der Stadt, dass die Suche nach Fachkräften weiter intensiviert wird. Ärgerlich sei, dass der Vorschlag des GEB Schule, den Springer-Pool aufzurüsten, vom Gemeinderat abgelehnt worden sei. Für die Erzieherinnen wünscht sich Sindlinger im Namen der Eltern mehr Entlastung und mehr Gehalt. adö