Kirchheim
Warum Thorsten Frei von Christian Lindner enttäuscht ist

Interview Der gebürtige Schwarzwälder ist Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Er fordert Pragmatismus für die Bewältigung der Energiekrise und eine Begrenzung der Staatsausgaben. Von Thomas Zapp

Aktuell wird Kritik an „Russland-Verstehern“ wie Angela Merkel und Ex-Außenminister Frank -Walter Steinmeier laut – zu recht?

Thorsten Frei: Nein. Wer hat denn damals wirklich in Frage gestellt, dass ein diplomatisches Verhalten gegenüber dem großen Nachbarn mit mehr als 140 Millionen Einwohnern vernünftig ist? Alle hatten ein Interesse an einer guten wirtschaftlichen und friedlichen Entwicklung mit Russland.  

 

Ihre Partei war in der Regierung für diese Politik verantwortlich. Was hat sie falsch gemacht?

Thorsten Frei: Man war sicherlich teilweise zu naiv und hat nach dem Fall des Eisernen Vorhangs geglaubt, man könne noch lange von der Friedensdividende zehren. Und natürlich hat man sich von russischem Gas auch deshalb abhängig gemacht, weil es 20 Prozent billiger als Fracking-Gas aus den USA war, das zudem als umweltschädlich galt. Das müssen wir uns eingestehen.

 

Sie sprechen in ihrem Vortrag vor der Seniorenunion von einer geopolitischen Zeitenwende. Heißt das auch, dass künftig nicht mehr nur der Primat der Wirtschaft gilt?

Thorsten Frei: Wir sind ein Land, das die Hälfte seines Wohlstands im Ausland erwirtschaftet und wie wenig andere von der globalen Arbeitsteilung und Lieferketten profitiert. Das Problem ist jetzt, dass zum Beispiel Kabelbäume für Autos aus der Ukraine nicht kommen. 

 

Hat auch die CDU das Thema Sicherheit vernachlässigt?

Thorsten Frei: Die schlechte Ausstattung der Bundeswehr haben auch wir nicht verhindert. Es war halt schöner über Fonds zur Digitalisierung der Schulen zu diskutieren als über Milliarden für die Rüstung. Die Fähigkeit zur Bündnis- und Landesverteidigung ist in den Hintergrund geraten. Es ging hauptsächlich um „Out-of-Area“-Einsätze. Ich kann mich an eine Debatte mit der damaligen Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer erinnern, als sie die Einhaltung des 2-Prozent-Ziels des Hauthalts für den Wehretat anmahnte. Sie wurde förmlich ausgelacht und als Kriegstreiberin verschmäht. 

 

Die Forderungen der Ukrainer gegenüber der Bundesregierung werden immer drängender. Wie weit sollte man dem nachgeben?

Thorsten Frei: Die Ukrainer sind mitten in einem Verteidigungskampf und kämpfen um ihre Existenz. Ihre Rufe nach Waffen sind nachvollziehbar, ebenso die schrillere Tonlage des Botschafters. Wir können kein Interesse daran haben, dass Russland diesen Krieg gewinnt. Es hat als erstes Land im Nachkriegseuropa Grenzen verschoben und damit die Friedensordnung auf dem Kontinent in Frage gestellt. Deshalb muss man ihm Einhalt gebieten. Wir wollen aber nicht in den Krieg hineingezogen werden und nicht zur Eskalation beigetragen. Also müssen wir maximale Unterstützung, auch mit schweren Waffen leisten. Da stimme ich Frau Baerbock zu.

 

Und was die bisherige finanzielle Unterstützung durch die Bundesregierung betrifft?

Thorsten Frei: Deutschland ist seit jeher der größte wirtschaftliche Unterstützer der Ukraine. Allerdings ist das Volumen der Waffenlieferung völlig inakzeptabel. Wenn die USA Waffen im Umfang von einer Milliarde und ein kleines Land wie Estland im Umfang von 200 Millionen Euro bereitstellt. Deutschland hat hingegen lediglich Waffen im Umfang von 80 Millionen Euro geliefert. Die Verteidigungsministerin, Frau Lambrecht, sagt, dass Deutschland nach Gewicht der zweitgrößte Lieferant wäre. Das ist doch ein Stück aus dem Tollhaus. Deutschland liefert zu wenig und zu spät und macht sich lächerlich.  

 

Neben dem Krieg machen Inflation und Energieversorgung den Menschen Sorgen. Was ist zu tun?

Thorsten Frei: Die Inflation liegt aktuell bei 7,3 Prozent, mir fehlt die Fantasie mir vorzustellen, dass Lohnerhöhungen im Herbst in dieser Höhe ausfallen. Es spricht viel dafür, dass wir den aktuellen Wohlstand nicht halten werden. Die Inflation ist der Taschendieb des „kleinen Mannes“. Daher erwarte ich hier mehr Einsatz von der Bundesregierung.

 

Statt Schuldenbremse startet der Finanzminister eine Schuldenrakete. Sind Sie von Christian Lindner enttäuscht?

Thorsten Frei: Ja, bin ich. Wir hatten in der Regierung die Hoffnung auf die FDP gesetzt. Man muss sich das klarmachen: Ein normaler Bundeshaushalt liegt zwischen 320 und 350 Milliarden Euro. Jetzt werden wir dieses Jahr eine Neuverschuldung von über 300 Milliarden Euro bekommen. So etwas gab es noch nie. Auch das heizt die Inflation an.

 

Wo sehen Sie denn Sparpotenziale?

Thorsten Frei: Wir geben extrem viel Geld bei Subventionen aus, der Bund hat sich über die Jahre in vielen Bereichen engagiert, wo er nach unserer Verfassung gar nicht zuständig ist, zum Beispiel in der Kleinkindbetreuung oder beim Digitalpakt für Schulen. Da hab ich mich damals als Oberbürgermeister von Donaueschingen natürlich auch darüber gefreut. Der Bund ist zwar aber sehr wohl für innere und äußere Sicherheit und soziale Gerechtigkeit zuständig. Er kann aber auch nicht alle Unwägbarkeiten des Lebens von den Leuten abwenden.

 

Explodierende Energiepreise zum Beispiel?

Thorsten Frei: Wenn die durch die Decke gehen, muss man zum Beispiel Berufspendlern helfen. Das Entlastungspaket der Bundesregierung hat aber sechs Punkte, zwei für jedes Mitglied der Ampelkoalition, zum Beispiel das 9-Euro-Ticket im Nahverkehr. Aber wer braucht denn wirklich Entlastung? Da bringt eine Mehrwertsteuersenkung beim Benzinpreis viel mehr. Außerdem hat die Bundesregierung ausgerechnet Rentner, Studenten und Menschen, die keine Einkommensteuer bezahlen, vergessen. Das ist nicht gerecht.

 

Fangen wir die Energiepreise mit einem Comeback für die Atomkraft auf?

Thorsten Frei: Nein. Wir haben uns 2011 für den Ausstieg entschieden, darüber gab es damals einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Da gibt es auch kein Roll-Back. Aber um die Versorgung für den Winter 2022/23 zu sichern, sollte man die drei noch verbliebenen deutschen Atomkraftwerke vorübergehend weiter am Netz lassen. Die decken sechs Prozent des Strombedarfs ab. Man sollte jetzt keine Option vom Tisch nehmen, die uns hilft, die Rohstoffabhängigkeit von Russland zu reduzieren. Da müssen die Grünen ihre ideologischen Gemeinsamkeiten über Bord werfen.