Kirchheim
Was 900 Jahre alte Ziegel erzählen

Ausstellung Im Chor der Martinskirche verknüpft eine Ausstellung die Baugeschichte der Kirche mit den spannendsten Episoden mittelalterlicher Geschichte. Von Andreas Volz

Im Inneren der Kirchheimer Martinskirche steht erstmals seit 60 Jahren ein größerer Umbau an. Grund genug für die Archäologie-AG, mit einer kleinen Ausstellung im Chor an die Baugeschichte zu erinnern – und an wichtige Funde, aus denen sich entsprechende Rückschlüsse ziehen lassen. Weil die Martinskirche in Bälde wegen der bevorstehenden Sanierung geschlossen wird, ist die Ausstellung nur noch bis 31. Oktober zu besichtigen.

Ganz besondere Relikte hat die Archäologie-AG gar nicht im klassischen Sinne „ausgegraben“. Sie lagerten auf dem Dachboden der Sakristei: Es handelt sich um Dachziegel. Archäologie-AG-Leiter Rainer Laskowski zur Bedeutung des Ziegelfunds von 2012: „Damit haben wir die Dachgeschichte ab der Romanik abgebildet. Außer den romanischen haben wir auch gotische, frühneuzeitliche und barocke Ziegel. Das einzige, was fehlt, sind Schieferplatten aus vorromanischer Zeit.“

Robuste Ziegel der Romanik

Die romanischen Ziegel beeindrucken durch ihre Größe ebenso wie durch ihre Stärke von etwa zwei Zentimetern. Die Entwicklung hin zu gotischen Ziegeln erklärt Rainer Laskowski anhand von Angebot und Nachfrage: „Mit dem Investiturstreit setzte ein aufwendigerer Kirchenbau ein. Da brauchte man viel Material, und deshalb wurden die Ziegel materialsparender.“ Die dünneren gotischen Ziegel waren leichter zerbrechlich. Deshalb erwähnt Rainer Laskowski die Glasur, die nicht primär eine Verzierung darstellte: „Die Glasur war wichtig, um die Ziegel haltbarer zu machen.“

Vergleichbare romanische Ziegel wie die aus Kirchheim gibt es bis heute auf einer Teilfläche der Kirche in Neckartailfingen – ebenfalls eine Martinskirche, ergänzt Günther Frey von der Archäologie-AG. „Der Dachstuhl dort stammt aus dem Jahr 1111. Also können wir einen romanischen Vorgängerbau unserer heutigen Martinskirche in Kirchheim auf den Anfang des 12 Jahrhunderts datieren.“

Eingriffe in den Kirchenboden gibt es bei der anstehenden Sanierung auch, weil eine neue Heizungsanlage eingebaut wird. Allerdings geht es nur in eine Tiefe von etwa 70 Zentimetern, was Günther Frey unter archäologischen Gesichtspunkten bedauert. Bis zu den beiden romanischen Bodenschichten dürften die Grabungen also kaum vordringen. Immerhin aber sieht das Landesdenkmalamt die Martinskirche als bedeutend genug an, um eigenes Personal nach Kirchheim zu schicken.

Mit besonders spektakulären Funden rechnen die Kirchheimer AG-Mitglieder aber eher nicht – wegen der geringen Grabungstiefe, aber auch weil es keine großflächigen Untersuchungen geben dürfte. Das ist wie vor 60 Jahren, sagt Günther Frey: „Was uns vorliegt, sind ja nur Zufallsfunde von den Stellen, an denen damals Heizungsschächte angelegt wurden. Der größte Teil der Kirche ist noch gar nicht untersucht.“

Von den Alamannen bis Franziska

Eins der alamannischen Gräber, die damals gefunden wurden, wird in der Ausstellung symbolisch nachgestellt – ziemlich genau über einem anderen Fund von 1963: über dem Grab der Herzogswitwe Franziska von Hohenheim. Deren Gruft schlägt einen Bogen von den Alamannen bis zu den Anfängen des Königreichs Württemberg. Rainer Laskowski und Günther Frey bleiben aber lieber bei den romanischen Anfängen der Martinskirche, die sie auch anhand eines „mechanischen Mörtelmischers“ aus der Zeit um 1000 belegen – an der Stelle zwischen Dekanat und Altem Pfarrhaus.

Rainer Laskowski erwähnt zudem die Verhüttung von Bohnerz. Deswegen müsse bereits Otto der Große um 960 Interesse an Besitztümern in „chiricheim“ gehabt haben. Und deswegen sei auch Heinrich IV. im Investiturstreit an der Gegend rund um den Teckberg interessiert gewesen – um durch das Eisen und die damit einhergehende Waffenproduktion seine Gegner zu schwächen und die eigene Position zu stärken. Von der Baugeschichte der Martinskirche geht es also mitten hinein in die spannendsten Episoden mittelalterlicher Reichsgeschichte.