Kirchheim
Wasser zurückhalten und umleiten

Starkregen  In Kirchheim liegt jetzt für das Einzugsgebiet des Dupiggrabens ein Gutachten vor, wie sich die Folgen von Hochwasser künftig minimieren lassen. Wichtig ist auch die Eigenvorsorge.  Von Andreas Volz

Hundert Jahre sind eine lange Zeit. Wenn Starkregen aber – rein statistisch betrachtet – alle hundert Jahre zu extremem Hochwasser führt, kann sich keiner darauf verlassen, dass bis zum nächsten Mal auch wirklich wieder hundert Jahre vergehen. In Kirchheim lagen zwischen zwei solchen Ereignissen nämlich nur
 

 „Auf den Ackerflächen muss 
mehr Wasser versickern können.
Anne Jakobs
Gutachterin

drei Jahre und zwölf Tage: Am 11. Juni 2018 gab es Hochwasser nach Starkregen, das als deutlich über hundertjährlich einzustufen war. Am 23. Juni 2021 hat sich eine Superzelle über Kirchheim abgeregnet. Die Folgen waren noch extremer als drei Jahre zuvor.

„Hundertjährlich heißt, dass ein solches Hochwasser zehn Mal in tausend Jahren vorkommt“, erklärte Kirchheims Erster Bürgermeister Günter Riemer nun im Gemeinderat. Wann auch immer die tausend Jahre beginnen oder enden mögen – zwei dieser zehn Hochwasserereignisse haben die Kirchheimer jetzt schon einmal hinter sich gebracht.

Das Hochwasser selbst lässt sich nicht verhindern. Was die Stadt sowie jeder Einzelne aber tun können: Vorsorge treffen, um die Folgen nach Möglichkeit zu minimieren. Aus diesem Grund hat die Stadt Kirchheim bereits 2019 ein Gutachten in Auftrag gegeben, um Gefahrenkarten im Einzugsgebiet des Dupiggrabens erstellen zu lassen. Dazu gehören auch Handlungskonzepte für ein „Starkregenrisikomanagement“.

Als Anne Jakobs vom Büro Wald und Corbe das Gutachten nun im Gemeinderat vorstellte, begann sie mit der Unterscheidung von Flusshochwasser und Starkregen. Im einen Fall treten Gewässer über die Ufer, im anderen Fall kommt es innerhalb kurzer Zeit zu sehr großen Niederschlagsmengen. Hochwasser ergebe sich je zur Hälfte aus Flusshochwasser sowie aus Starkregenereignissen.

Weil sowohl 2018 Lindorf und Ötlingen besonders stark betroffen waren – was sich 2021 zwar wiederholte, aber nicht zwingend bedeutet, dass es immer nur Lindorf und Ötlingen trifft –, hat sich die erste Untersuchung nun mit dem Dupiggraben und dessen Einzugsgebiet befasst, der von Lindorf nach Ötlingen führt. Das Handlungskonzept schlägt unter anderem vor, Feldwege anzuheben, damit diese nicht, einem Wadi gleich, im Starkregenfall zu einem reißenden Bach- oder gar Flussbett werden. Entlang der Bebauung seien gegebenenfalls auch Entwässerungsgräben anzulegen.

Diese Gräben gilt es dann auch zu unterhalten, also sauberzuhalten. Sind sie überwuchert, mit Gehölz oder Unrat gefüllt, können sie ihren Zweck nicht mehr erfüllen. Als ein weiteres Problem für die Funktionstüchtigkeit der Entwässerungsgräben stellten Überfahrten dar. Solche Überfahrten sind genau zu verzeichnen und an der einen oder anderen Stelle auch zu entfernen, weil sie leicht dazu führen, dass der Graben verstopft wird. An kritischen Stellen – etwa in der Oberboihinger Straße in Lindorf – empfiehlt das Gutachten, Retentionsraum zu schaffen, also tieferliegende Flächen, in denen sich das Regenwasser ansammeln kann, ohne weiteren Schaden anzurichten.

Ansonsten geht es darum, das Wasser so früh wie möglich in Fließgewässer abzuleiten. Für Ötlingen und Lindorf ist das die Lauter. Sie soll das Wasser abtransportieren, wenn sie nicht ihrerseits über die Ufer tritt. Ein grundsätzliches Problem, das es mit der Landwirtschaft zu besprechen gebe, sei der Maisanbau: „Man muss dafür sorgen, dass auf diesen Ackerflächen mehr Wasser versickern kann.“

Was die Eigenvorsorge betrifft, rät das Gutachten dazu, die Zutrittswege für Wasser ins jeweilige Gebäude zu untersuchen und anschließend zu sichern. Lichtschächte etwa lassen sich durch einen Glasüberbau so umgestalten, dass durch sie kein Wasser mehr ins Untergeschoss fließen kann. Ebenfalls empfiehlt es sich, die Rückstausicherung zu überprüfen. Funktioniert diese nicht ordnungsgemäß, dringt Wasser über die Abflüsse ins Haus.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Marc Eisenmann begrüßte diese Vorschläge, warnte aber vor der Gefahr, dass einzelne Maßnahmen zu einer Verschlechterung der Lage an anderer Stelle führen könnten, dass das Wasser also an Stellen umgeleitet wird, die bisher nicht betroffen waren.

„Tiefpunkt“ im Steingrubenweg

Thilo Rose (CDU) nahm besonders die Stuttgarter Straße und den Steingrubenweg in den Blick: „Heute würde man dort sicher nicht mehr bauen. Aber die Häuser stehen nun einmal da. Deswegen muss das Wasser unbedingt schon vorher, auf Höhe der Warthbrücke, in die Lauter geleitet werden.“ Anne Jakobs bezeichnete den Steingrubenweg als einen klassischen „Tiefpunkt“: „Weil dort alles Wasser zusammenläuft, darf dort so wenig Wasser wie möglich ankommen.“

Wichtig sind auch die Krisenkommunikation und die Vorwarnung. „Die Vorhersagen sind ziemlich präzise“, stellte Oberbürgermeister Pascal Bader fest. „Im Juni kamen die Warnungen eine halbe Stunde vor dem Regen.“

 

Die Bürgerinformation muss abgesagt werden

Vorgesehen war eigentlich eine Bürgerinformation mit dem Thema „Hochwasser und Starkregen in Kirchheim unter Teck – was nun?“ Dabei wären am morgigen in der Eduard-Mörike-Mehrzweckhalle die Ergebnisse des Gutachtens vorgestellt worden. Nun hat die Stadt die Veranstaltung abgesagt. Grund für die Absage ist die Corona-Pandemie.

Im Internet lassen sich aber Informationen und Checklisten zur Eigenvorsorge und zum Verhalten bei Hochwasser finden – unter www.kirchheim-teck.de/hochwasserschutz.

Eine direkte Folge des Unwetters vom Juni ist der Zustand der Bäume. Sie haben weniger unter dem Regen als unter dem Hagel gelitten. Während Laubbäume sich besser erholen konnten, haben etliche Nadelbäume immer noch stark mit den Schäden zu kämpfen. Vor allem auf den Friedhöfen in Lindorf und Ötlingen sowie auf dem Alten Friedhof in Kirchheim sind Bäume deshalb zurückzuschneiden oder auch zu fällen. Im Frühjahr kommt es zu Ersatzpflanzungen.   vol