Kirchheim
„Wegga ond Brezla“ sind der Renner

Jubiläum Vor 25 Jahren wurde vom Deutschen Bundestag das damals 40 Jahre alte Ladenschutzgesetz gelockert. Bäcker können seither auch sonntags Brötchen verkaufen. Von Sabine Ackermann

Bundestag mit knapper Mehrheit für neuen Laden­schluss. Das stand am 22. Juni 1996 noch über folgender fett gedruckter Überschrift im Teckboten: „Auch am Sonntag gibt es bald frische Brötchen“. Eine Nachricht, die ein Vierteljahrhundert später vermutlich keiner mehr auf dem Schirm hat. Einkaufen, shoppen - geht eigentlich immer. Allerdings am heiligen Sonntag? Wegga und Brezla kaufa? Und ob. Unglaublich, was bei den Bäckereien im Kreis Esslingen los ist.

Sonntagmorgen 9 Uhr vor der Bäckerei Kienzle im Kirchheimer Gewerbe­gebiet Bohnau. Als wäre es abgesprochen kommt die Kundschaft, überwiegend Stammkunden, im Minutentakt - während ein Auto parkt, fährt ein anderes wieder weg. Wobei, Parkplätze sind hier keine Mangelware, davon gibt es mindes­tens so viele wie frische Backwaren - es läuft bei Kienzles wie auch bei den anderen Bäckereien, die sonntags öffnen. „Vier Baguette-Brötchen, zwei Laugenwecken und zwei Brezeln, kommt sonst noch etwas dazu?“, hakt Jana Schechtel zur Sicherheit noch mal nach. Der junge Kunde hat alles, zahlt mit Karte und schwingt sich „maskenfrei“ und gut gelaunt auf sein Fahrrad, um demnächst sein Frühstück zu genießen. „Einer unserer Stammkunden“ verrät die 19-jährige BWL-Studentin, die sich hauptsächlich sonntags etwas dazuverdient.

Auch ­Julian Fink fällt unter die Rubrik „Minijobber“. Dem 17-jährigen Schüler macht die Arbeit ebenfalls richtig Spaß, möchte nach der ­Schule „definitiv irgendetwas mit Handwerk machen“. Dass beide jungen Leute dafür sonntags früh raus müssen und so manche Party versäumen, stört sie nicht. Nicht nur eine große Auswahl an Brötchen gibt es fast überall, auch Brotlaibe, Kuchen oder süße Stückle werden im stetigen Wechsel angeboten, wobei natürlich die Wecken die Liste anführen.

Mittlerweile führen Peter und Sabine Kienzle acht Filialen mit rund 50 Mitarbeitern. Das Ehepaar erinnert sich oft an die „aufregende Zeit“, als es um den Kampf gegen die veralteten Ladenschlussgesetze ging. Seitdem gibt es bei uns auch sonn- und feiertags frische Brötchen.“ Rund 25 Jahre später hat sich viel getan, alle drei Söhne sind mittlerweile selbst im elterlichen Betrieb tätig. „Es ist wunderschön, mit unseren Jungs zu schaffen“, freut sich Mama Sabine Kienzle über Bäckermeister Philip, Geselle Stefan und Patrick, der im Büro sein Wissen einbringt.

Über mangelnde Sonntagskundschaft brauchen sich auch andere Bäcker, ob in der Stadt oder auf dem Land nicht zu beklagen. Beispielsweise die Backstube Goll mit Firmensitz in Bissingen. Sechs der zehn Filialen haben am siebten Tag der Woche geöffnet, die restlichen vier sind mit einem Supermarkt oder Discounter verbunden und haben insofern geschlossen. „Manche Kunden stehen schon um 7.30 Uhr vor der Tür“, verrät Andreas Goll, der seit zehn Jahren die dritte Generation anführt und lachend betont: „Dafür muss man geboren sein.“ Die guten Nerven hat er vermutlich von seinem Vater Friedrich Goll geerbt, der mittlerweile zwar in Rente ist, aber wie sein Sohn erwähnt: „Mit 66 Jahren noch topfit und packt mit an, wenn Not am Mann ist.“

Was dem 35-jährigen Bäckermeister eher Bauchschmerzen bereitet, „dass gutes und fleißiges Personal immer schwieriger zu finden ist.“ Richtig gut angenommen wird das Café. Vor allem Stammkunden, Wanderer und Radfahrer gönnen sich im Außenbereich ein Sonntagsfrühstück oder nehmen was für unterwegs mit.

Damit die Auswahl an frischen Backwaren, Kuchen, Torten und süße Stückle nicht zu Neige geht, „wird in der Backstube ab 21.30 Uhr bis zum nächsten Tag 12 Uhr durchgebacken“, erzählt Andreas Goll, der insgesamt 120 Mitarbeiter hat. „Wir haben allein 10 Fahrer, die unsere Filialen auch sonntags beliefern.“ Am vergangenen Sonntag hatten Nicole, Nele, Sophie und Anni Dienst, Studentinnen und Aushilfen, die sich bei ihrer Arbeit pudelwohl fühlen.