Kirchheim

Wenn Talent Segen und Fluch zugleich ist

Lesung Ein musikalisches Buch in der Musikschule: Claudia Schreiber liest aus ihrem Jugendbuch „Solo für Clara“.

Kirchheim. Eine gute Geschichte, eine verschmitzte Autorin und sechs Musikschüler, die fleißig geübt haben – mehr braucht es nicht, um einen Roman an einem Abend tatsächlich zum Leben zu erwecken. Die Veranstaltung der Buchhandlung Zimmermann zog daher in den Saal der Musikschule um, und die Zuhörer scharten sich zahlreich um Claudia Schreiber, die ihr neustes Werk „Solo für Clara“ dabei hatte.

Die bekannte Autorin und Reporterin, die übrigens keineswegs auf ein Musikstudium zurückgreifen konnte, dafür aber auf sehr solides journalistisches Handwerkszeug, hat sich für die Geschichte des Mädchens Clara van Bergen im Kreise von hochbegabten Musikern genauestens umgesehen. Claras Höhen und Tiefen spüren die Zuhörer in Schreibers einfühlsam vorgelesenem Text, der in der Ich-Perspektive des Kindes geschrieben ist. Der Roman richtet sich allerdings nicht nur an jugendliche Leser, sondern auch an Erwachsene.

Ganz nebenbei erlebt Clara, parallel zur Entdeckung ihres Talents und der damit einhergehenden Herausforderungen für ihr Umfeld, das Aufwachsen in einer sehr modernen Familie. Die Familie besteht aus dem holländische Papa, der als Literaturagent in Amsterdam ist, und aus der Mama, die für Fernsehreportagen auf der ganzen Welt unterwegs ist, und – wenn sie Zeit hat – sich in Köln um ihre Tochter kümmert. Clara hat tatsächlich zwei Kinderzimmer, bis die Eltern wegen der beginnenden Schulzeit notgedrungen zusammenziehen müssen. Sie hatten zwar ursprünglich die eigene Karriere, allerdings keinen Nachwuchs für ihr Leben geplant.

Die Begabung hat Clara von ihrem Papa. Als er Beethovens Mondscheinsonate auf seinem Klavier spielt, ist es um sie geschehen. Von da an ist die Fünfjährige nicht mehr zu bremsen. Spielt stundenlang, lernt in Windeseile, nimmt mit neun Jahren bereits an Wettbewerben teil, erlebt Konkurrenzdruck, Verzweiflung und den süßen Triumph des Gewinnens. Manche Musikstücke begleiten ihren Weg auf eine besondere Art. So erspielt sie sich mit Chopins „Regentropfen-Prélude“ nicht nur den ersten Platz bei einem Wettbewerb, sondern findet mit genau diesem Opus auch ihr Instrument: einen sündhaft teuren Steinway-Flügel, der die Eltern ordentlich ins Schwitzen bringt und den Familiensegen in Schieflage.

Claudia Schreiber, die vielen auch durch „Emmas Glück“ bekannt sein dürfte, lässt keine Gelegenheit aus, die entsprechenden Szenen mit Humor und Kölner Wortwitz zu spicken. Genussvoll lässt sie diverse Klavierlehrer auf- und wieder abtreten. Sie nimmt Claras Mitbewerberin aufs Korn, die „elterngesteuert“ Klavier spielen muss. Clara hingegen darf sich frei entscheiden. Dabei bleibt ihr auch keine andere Wahl, und das bereits im Alter von neun Jahren, als der Kauf eines Flügels ansteht.

Clara beschreitet den Weg eines jeden talentierten Musikers, der sich für die Solokarriere entscheidet: Bereits im jungen Alter arbeitet sie daran, ihren Traum, Konzertpianistin zu werden, zu verwirklichen. Sie gibt alles, trotz den nervenzehrenden Wettbewerben, den Anforderungen in der Schule und dem Exotenplatz unter den Mitschülern. Claudia Schreiber erzählt, wie die Hochbegabung Segen und Fluch zugleich sein kann und lässt den Leser hinter die Kulissen eines Musikers schauen.

Dass das Publikum wirklich eintauchte in Claras Gefühlswelt, ermöglichten Melanie Wahl, Sarah Hauschild und Anika Mosolf am Flügel. Virtuos spielten sie die Werke, die Clara in entscheidenden Momenten auf ihrem Weg zur Pianistin begleiten. Besonders bezaubernd zeigte die erst achtjährige Klara Matthes, wie ihre Namensvetterin voller Stolz das erste Kinderlied „Die Vogelhochzeit“ zweihändig vorspielte.

Zu einem späteren Zeitpunkt muss sich die angehende Musikstudentin Clara für ein weiteres Instrument entscheiden. Die Zuhörer durften als Hörbeispiel Julian Nürk auf der Konzertgitarre lauschen, der das Publikum mit „Stairway to heaven“ in eine andere Musiklandschaft entführte. Aber so ist Claras Welt: Alles klingt, alles ist Musik. Genauso wie an diesem Abend in der Musikschule. Stefanie Werner