Kirchheim

Wer die Macht hat, überwacht Sitte und Moral im Dorf

Vortrag Bei seinem Streifzug durch die Geschichte Jesingens stellt Frank Bauer Schule und Kirche in den Mittelpunkt.

Kirchheim. Von „Herrschaft und Macht“ in Jesingen sprach Kirchheims Stadtarchivar Frank Bauer in seinem Festvortrag zur Vorstellung der neuen Ortsgeschichte. Zwei Institutionen stellte er dabei in den Mittelpunkt: Schule und Kirche. Allenfalls an die Schule würde man heute noch denken, wenn es um „Macht“ geht.

Dabei war die Schule einstens eher „ohnmächtig“, wie Frank Bauer ausführte: „Eine Schulpflicht gab es erst ab 1648, als nach dem 30-Jährigen Krieg auch der moralische Wiederaufbau wichtig war.“ Dennoch schickten die Eltern ihre Kinder eher zögerlich in die Schule, weil sie auf dem Feld oder als Viehhirten benötigt wurden. Die Eltern dachten also: „Was braucht mein Kind Lesen und Schreiben lernen? Den Ziegen muss es ganz bestimmt nichts vorlesen.“

Hinzu kam, dass auch die Schulmeister sich selbst versorgen mussten: „Die bestellten ihre Äcker und kümmerten sich ums Vieh wie jeder andere auch. Es gab ja noch keinen Supermarkt.“ Unterricht war folglich nur an Sonn- und Feiertagen angesetzt, und der Sommer war ohnehin Arbeitszeit, aber keine Schulzeit: „Ganzjähriger Unterricht wurde erst im Lauf des 18. Jahrhunderts üblich.“

151 Jahre Lehrer Johannes Schäfer

1601 ist erstmals ein Schulmeister für Jesingen nachgewiesen: Bernhard Gettling, dem 1617 Hans Gettling nachfolgte. „Diese Ämter wurden häufig in den Familien vererbt“, stellte Frank Bauer fest. In Jesingen gab es dabei aber doch eine Besonderheit: Von 1690 bis 1841 hießen die Schulmeister allesamt Johannes Schäfer. Es folgte jeweils der Sohn auf den Vater. Um sie unterscheiden zu können, werden sie in der Ortsgeschichte von I bis IV durchnummeriert.

Die Visitationsprotokolle nennt Frank Bauer als wichtige Quelle für den Schulalltag. Von Johannes Schäfer II, der sein Amt von 1736 bis 1758 ausübte, findet sich folgendes Zitat: „Er ist im Unterricht gut, buchstabiert richtig, hat auch etwas weniges in dem Rechnen getan. Hat feine Zucht in der Schule und sucht die Kinder in der Ordnung zu halten, erinnert sie auch zur Frömmigkeit.“ Sein eigener Lebenswandel wird aber auch kritisch betrachtet: „Sein häusliches Verhalten besser als vorher, da er dem Spielen nachgegangen.“

Offenbar hat sich die Spielsucht gebessert. Dass aber die Moral hier eine große Rolle spielt, liegt an der Institution Kirche, der die Schulaufsicht oblag. Erst 1909 wurde die geistliche Aufsicht eingeschränkt. Über Jahrhunderte hinweg überwachte der Kirchenkonvent Sittlichkeit und Ordnung im gesamten Dorf: „Das war ein sehr mächtiges Gremium. Es überwachte den Besuch der Sonntagsschule, die Einhaltung von Tanzverboten und es genehmigte Eheschließungen.“

Auch der Kirchenbesuch war eine Pflicht, die die Öffentlichkeit überwachte. Erst in jüngerer Zeit sei der Glaube zur Privatsache geworden, das richtige Verhalten damit eher zur Frage der individuellen Ethik als der öffentlichen Moral geworden. Frank Bauer stellt aber zu den früheren Zeiten klar: „Sollte der Eindruck entstanden sein, dass die Menschen damals ausschließlich in Bibelversen kommunizierten, so wäre dieser Eindruck falsch. Auch in Jesingen feierten die Menschen früher ihre Hochzeiten mit derben Sprüchen und reichlich Alkohol.“ Egal wie man zu beidem steht - zünftiges feiern steht am Wochenende für alle Jesinger auf dem (Pflicht)- Programm. Andreas Volz