Es kommt nicht täglich vor, dass man jemandem gegenübersitzt, der einen Menschen getötet hat. Und der davon ganz freimütig erzählt. Wilhelm Buntz, der vor vielen Jahren im Gefängnis Christ wurde, tut genau das. „Der Bibelraucher“ - so heißt sein Buch - spricht mit einer Offenheit von den Schrecken, die er über andere gebracht hat, dass es seiner jungen Interviewerin Anna Hogenmüller fast die Sprache verschlägt. Die Veranstaltung der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde wird als Livestream auf Youtube übertragen. „Vocal Affair“ sorgt für Musik. Über 200 Menschen, darunter viele Jugendliche, sehen zu.
„Meine Mutter hat mich als Kleinkind ausgesetzt. Sie hat mich weggeworfen wie Gammelfleisch.“ Den zweiten Satz wiederholt Wilhelm Buntz wieder und immer wieder, in all seiner schier unfassbaren Grausamkeit. Vermutlich, um zu erklären, vielleicht auch zu entschuldigen, was danach geschieht. Als Kind ist er verhaltensauffällig und hochgradig aggressiv. Er quält andere Kinder, schlägt so lange zu, bis sie bluten. „Blutbad-Willi“ wird er deshalb genannt. Er schneidet Mädchen die Zöpfe ab, stiehlt anderen den Geldbeutel. Der Lehrerin erklärt er, er wolle „Gangster“ werden.
Sein Vater, der ihn zur Strafe immer wieder schwer körperlich misshandelt, bringt seinen Sohn ins Heim. Buntz schildert einen Vorfall, der sein weiteres Leben prägen soll. Einmal, da war er zehn Jahre alt, habe seine Mutter ihn im Heim besucht. Hoffnung keimte in ihm auf. „Vielleicht nimmt sie mich ja mit?“ Doch die Mutter ging und ließ ihn wieder zurück. „Da habe ich mir geschworen: Das passiert mir nie wieder.“ Von seinem zehnten Lebensjahr bis er 32 war, habe er keine Gefühle mehr zugelassen, um selbst nicht mehr verletzt zu werden. „Mir war alles scheißegal. Auch meine Verbrechen haben mir nicht leidgetan.“
Als Jugendlicher fährt Wilhelm Buntz in Österreich einen Polizisten tot, muss dort für fünf Jahre ins Gefängnis. Gerade entlassen, macht er gnadenlos weiter. Bankraub, Menschenhandel, Waffenhandel, ein weiterer Totschlag: Die Liste seiner Delikte ist lang. Gefasst wird er nicht, er führt ein Leben auf der Flucht. Bis eine Bardame in St. Pauli ihn aufgrund der Sendung „Aktenzeichen XY“ erkennt und ihn verrät. Es kommt zu einer Schießerei. Der Schwerverbrecher wird geschnappt und nach Stammheim gebracht. 148 Delikte werden ihm zur Last gelegt. Wilhelm Buntz wird mit 22 Jahren zu einer Gefängnisstrafe von 14 Jahren mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt - eine Maßnahme für Straftäter, die als besonders gefährlich eingestuft werden.
Seine Strafe muss er in Bruchsal absitzen. Dort verbringt er viel Zeit in der Arrestzelle, zur Strafe, weil er sich prügelt, den Beamten das Essen hinterherwirft oder sie mit Kaffee überschüttet. Weil er Zigarettenpapier braucht, lässt er sich vom Pfarrer eine Bibel bringen. „Ich habe die erste Seite rausgerissen, vorne und hinten gelesen, sie anschließend in vier gleiche Teile zerrissen und mir daraus Zigaretten gedreht“, sagt Buntz. Das, was er liest, berührt ihn nicht. Noch nicht. Sieben Jahre später hat er das ganze alte Testament geraucht.
„Im neuen Testament kam ich bis Matthäus 5, bis zur Bergpredigt“, erinnert er sich. Zum ersten Mal habe er die Seite nicht zerrissen, sondern sich Gedanken über sein Leben gemacht und mit Gott, an den er immer noch nicht glaubte, gesprochen. „Ich sagte: Gott, wenn es dich gibt, dann musst du mich verändern. Aber ich lasse mich nicht verändern!“ Irgendwann habe ihn jemand im Gefängnis gefragt, ob er krank sei. Er prügle sich ja gar nicht mehr und werfe den Beamten auch kein Essen hinterher. Buntz war baff und antwortete: „Ich glaube, dass Gott größer ist als ich. Und dass er mich besiegt hat. Aber wenn du einem davon erzählst, dann schlage ich dir den Schädel ein.“ Kurze Zeit später habe er sein Leben ganz Jesus übergeben.
„Wenn ich gewusst hätte, wie spannend das Leben mit Jesus ist, wäre ich nie Gangster geworden“, sagt der 66-jährige Buchautor, der nach seiner Entlassung heiratet und mit seiner Frau zwei Söhne hat. Er besucht eine Bibelschule, trifft sich mit den Angehörigen seiner Opfer. Bis zur Rente arbeitet er unter anderem in einem Blindenheim in Freiburg. Mit seinem Buch ist der Bestseller-Autor in vielen Kirchengemeinden zu Gast. „Es ist schön, dem Herrn zu dienen“, sagt er.