Kirchheim

Wie ein Orchester Musik zu Bildern macht

Konzert Das Schwäbische Kammerorchester gastiert in der Kirchheimer Christuskirche – ein Abend der kirchlichen Musik wie man ihn sich inniger kaum wünschen kann. Von Ralf Sach

Das waren noch Zeiten: Konzertprogramme wie ein bunter Gemüsegarten mit dem Schlusssatz einer Beethoven-Symphonie, zwei Arien aus Mozarts Zauberflöte und dem Credo aus Bachs Messe h-Moll. Gesamtaufführungen großer Werke waren früher eher verpönt. Schuberts inbrünstiger Bitte um eine zusammenhängende Aufführung seiner Neunten wurde nicht entsprochen. So gesehen bewegte sich das Schwäbische Kammerorchester am letzten Samstag in der Christuskirche auf historischem Boden.

Die, modernen Konzertbesuchern so vertraute Zusammenhangssuche auf musikalischen Menükarten, musste an diesem Abend ins Leere laufen. Das war beabsichtigt. Überhaupt jedweder Situationsbezug. Oder konnte der anmutige Frühlingsgesang „Nun beut die Flur das frische Grün dem Auge zur Ergötzung dar“ aus Haydns „Schöpfung“ auch symbolisch auf die frisch renovierte Inneneinrichtung der Christuskirche gemünzt werden, zu deren Benefiz das Konzert veranstaltet wurde? Oder gar die „unerwartete Ruhe der Gerechten“ aus Mozarts Konzertarie „Exsultate jubilate?“

Premiere für die neue Kirchenheizung sei heute, sagte Pfarrer Christoph Schweikle zu Beginn des Abends zu den zahlreichen Besuchern. Und sie erfüllte verlässlich die Erwartungen. Sonnhild Beyer allerdings gab beträchtlich mehr: Sie brachte mit ihrer Stimmkunst Seele und Gemüt zum Siedepunkt und ihre streichenden Verfolger dadurch ganz schön ins Schwitzen. Selbst eines der Angst-Töne im mozartschen Ouvre, das dreigestrichene „Alleluja“-C, verwandelte ihr schlanker Sopran in ein lächelndes Nichts. Muss Sonnhild Beyer eigentlich atmen? Und woher nimmt sie nur ihre mühelose Leichtigkeit in noch jungen Jahren?

Das „Exsultate“ musste im Rahmen einer berauschenden Opernnacht in Mailand uraufgeführt werden, weil Renovierungsarbeiten am Salzburger Dom eine kirchliche Erstaufführung unmöglich machten. Dagegen erklang Alexander Glasunows Saxofonkonzert erstmals in einer schwedischen Kirche. Der russische Komponist wollte damit sein zerrüttetes Verhältnis zu seiner Glaubensheimat kitten. Ausgerechnet mit einem Saxofon-Konzert! Es wurde ohrenfällig, wie sich diese rasante Achterbahnfahrt durch komplexes Notengeflecht mit Solistin Martina Wratsch als Steuerfrau zum heimlichen Höhepunkt der Veranstaltung aufschwang. Martina Wratsch glänzte nicht, sie zelebrierte.

Und das „Schwäbische“ ließ sich von jedem ihrer Atemzüge fesseln, ergeben begleitend oder, wie beim solistischen Epilog, schweigend lauschend. Es war ein Hochamt des Zusammenspiels, kirchliche Musik, wie man sie sich inniger kaum wünschen kann. Der klangveredelnde Kirchenraum offenbarte besonders hier, wie sehr sich die Christuskirche während der arbeitsamen letzten Monate zu einem exzellenten Kammermusiksaal gemausert hat. Bereichert durch ein helles und freundliches Inneres. Zu schade, dass die Lauschenden bald schon wieder in die finstere Nacht hi­nausbegleitet wurden.

Mit einem Marsch, hin zu einem imaginären Dorfplatz. Freiluftmusik, das ist eine Serenade, wie sie Max Bruch komponierte. Schauerlich, die dunklen Geister und Dämonen, unter den tiefen Streichern rumorend, und wie der Blick tröstlich zu den flimmernden Sternen erhoben wurde. Im Zentrum der nächtlichen Wanderung durch irgendeine schwedische Landschaft erklang ein Choral. Kirchenmusik! Jedoch wieder spukhaft verflüchtigt und auf die Worte „Gamla moder jord“ („O du alte Mutter Erde, wo bist du gewesen die lange Nacht?“) den Rückmarsch ins Dasein, ins Innere der Christuskirche, angetreten.

Das Schwäbische Kammerorchester brachte zusammen mit seinem Leiter Matthias Baur das Wunder zuwege, aus Musik Ereignisse und Zusammenhänge entstehen zu lassen. Doch die gab es ja – wie gesagt – eigentlich gar nicht.