Kirchheim

„Wie viel Staat steckt im NSU?“

Vortrag Petra Pau sprach in Kirchheim über die Arbeit der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU). Von Andreas Volz

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Petra Pau fordert, die Ämter für Verfassungsschutz aufzulösen.Foto: Carsten Riedl
Die Linken-Bundestagsabgeordnete Petra Pau fordert, die Ämter für Verfassungsschutz aufzulösen.Foto: Carsten Riedl

Zwei Stunden lang hat die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau ihr Publikum im Kirchheimer Mehrgenerationenhaus Linde quer durch sämtliche Irrungen und Wirrungen der behördlichen NSU-Ermittlungen und der verschiedenen parlamentarischen Untersuchungsausschüsse geführt. Der Kirchheimer Ortsverband der Linken hatte die prominente Parteifreundin zum Vortrag eingeladen.

Petra Pau nimmt kein Blatt vor den Mund und bringt ganz klar zum Ausdruck, was sie denkt. So sagt sie gleich zu Beginn ihres detailreichen Berichts: „Der institutionelle Rassismus machte von Anfang an bei den Ermittlungen die Opfer zu Tätern.“ Damit meint sie, dass von vornherein nur in bestimmte Richtungen ermittelt worden sei, wohingegen andere Möglichkeiten kategorisch ausgeschlossen worden seien.

Als 2006 eine operative Fallanalyse auf ausländerfeindliche Motive der Mordtaten schließen ließ, sei sofort eine zweite Analyse in Auftrag gegeben worden, die folgenden „Gegenbeweis“ lieferte: Die Brutalität der Taten lasse es nicht als vorstellbar erscheinen, dass die Täter aus dem westeuropäischen Kulturkreis stammten. Die Taten seien also eher dem Bereich der archaischen Blutrache zuzuordnen. - Wäre allerdings bereits sehr viel früher in Richtung Ausländerhass als Motiv für die Morde ermittelt worden, hätte sich vielleicht die gesamte Mordserie verhindern oder doch wenigstens zu einem bestimmten Zeitpunkt noch stoppen lassen.

Wenn Petra Pau von institutionellem oder strukturellem Rassismus spricht, legt sie Wert auf folgende Feststellung: „Das heißt nicht, dass die Beamten und Behördenmitarbeiter Rassisten sind. Aber ihnen fällt nicht auf, dass sie die eingefahrenen Bahnen nicht verlassen können.“ Zu diesen eingefahrenen Bahnen gehöre eben der Automatismus, dass rechtsradikale Hintergründe für Straftaten gleich gar in Betracht gezogen werden. An dieser Stelle sei ein Mentalitätswechsel angebracht: „Wenn man in alle Richtungen ermittelt, dann eben auch in Richtung Rassismus.“

Wenn es schon um die Institutionen geht, die die NSU-Mordserie aufklären sollten, kommt Petra Pau auch gleich auf das institutionelle Versagen zu sprechen. Als strukturelles Problem sieht sie in erster Linie das V-Leute-System. Der Schutz vor Strafverfolgung, den die V-Leute genießen, sorge sogar dafür, dass die notwendigen Strukturen für Netzwerke wie den NSU überhaupt erst geschaffen werden können. Die Kernfrage laute deshalb: „Wie viel Staat steckt - auch durch die V-Leute - im NSU?“ Der Schutz der eigenen V-Leute wäre immerhin ein Grund für die behördlichen Blockaden der Aufklärungsarbeit, die die Untersuchungsausschüsse leisten sollen.

Vor allem greift Petra Pau in diesem Zusammenhang den Verfassungsschutz an: „Die Polizei nehme ich ausdrücklich aus. Aber beim Verfassungsschutz hat der notwendige Mentalitätswechsel noch nicht stattgefunden.“ Den Verfassungsschützern wirft die Bundestagsvizepräsidentin „Allmachtsphantasien“ vor, nach dem Motto: „Solange wir jemanden auf dem Schirm haben, passiert mit dem schon nichts.“ Dass das ein Trugschluss ist, habe unter anderem auch auf dem Berliner Weihnachtsmarkt der Fall Amri gezeigt.

Unter großem Applaus des Publikums in der Linde konstatiert Petra Pau folglich: „Ich bin der Meinung, das V-Leute-System gehört ersatzlos abgeschafft.“ Kurz darauf geht sie mit ihren Forderungen sogar noch einen Schritt weiter: „Die Linke ist der Meinung, die Ämter für Verfassungsschutz gehören aufgelöst.“

Die Auflösung der Verfassungsschutzämter ist nur eine von Petra Paus Forderungen. Die andere lautet: „Wir müssen die Gefahren, die von militanten Rechtsradikalen ausgehen, ernst nehmen - die Gefahren für Leib und Leben Einzelner, aber auch die Gefahren für unsere Demokratie.“ Und schließlich fordert Petra Pau ihr Publikum auf, die Ausschusssitzungen zu besuchen: „Die sind öffentlich, und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit darf nicht nachlassen. Das sorgt für Druck, auch auf uns Parlamentarier.“ Dazu passend, verweist ein Zuhörer darauf, dass am Freitag, 28. April, um 9.30 Uhr im Stuttgarter Landtag eine öffentliche Sitzung des baden-württembergischen Untersuchungsausschusses „Rechtsterrorismus/NSU BW II“ beginnt.