Ludwig Kirchner arbeitet für die „Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit“ (GIZ) in Nigeria. Zum SPD-Stammtisch in der Minibar hatte ihn der hiesige Landtagsabgeordnete Andreas Kenner eingeladen. Wer in Kirchheim eine Volkshochschule sanieren konnte, der könne auch in Afrika etwas bewirken, meinte Kenner.
„Wir kommen nicht als diejenigen, die wissen, wie es geht“, betonte Kirchner und stellte den Zuhörern drei Afrika-Experten vor, allesamt Afrikaner. Entwicklungszusammenarbeit ist ein sensibles Feld. „Stellen Sie sich vor, eine Gruppe Nigerianer käme zu uns, um der EU bei ihren Problemen zu helfen. Das würde uns alle unangenehm berühren.“ Kirchner mahnte, „immer mit dieser umgekehrten Perspektive zu denken.“ Den politischen Auftraggebern der GIZ könne vieles nicht schnell genug gehen. Aber auch in Europa hat vieles sehr lange gedauert. „Wir gehen sehr ergebnisoffen ran“, betonte Kirchner.
Armut, AIDS, Hunger, Korruption und Schulden, das sei unser Bild von Afrika. „Die anderen Seiten kommen häufig nicht vor, dabei ist Afrika so bunt.“ Kirchner unterstrich dies mit einigen Fotos, etwa der modernen Skyline von Nairobi. Afrika sei beides, der vernachlässigte ländliche Raum und das urbane Zentrum mit einem Slumgürtel darum herum.
Warum wandern Menschen aus, was sind die Push-Faktoren? Zum einen mangelnde Arbeitsplätze, vor allem in den Städten. Durch das starke Bevölkerungswachstum braucht Afrika jedes Jahr 20 Millionen neue Arbeitsplätze, geschaffen werden aber nur vier Millionen. Die Geburtenrate ist am ehesten durch eine funktionierende Renten- und Krankenversicherung zu senken. Bisher braucht der Einzelne viele Kinder: Nicht alle kommen durch, nicht alle sind wirtschaftlich leistungsfähig, aber ein oder zwei sind es und versorgen einen dann im Alter. Das sei ein rationales Verhalten.
Keine Konflikte zwischen Ländern
Zweiter Push-Faktor ist der Mangel an Sicherheit. Es gibt in Afrika kaum noch zwischenstaatliche Konflikte, aber solche innerhalb der Länder, die für Binnenflüchtlinge sorgen. Ein Erfolg für Kirchner ist die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS), die durch Druck dafür gesorgt hat, dass der abgewählte Präsident von Gambia tatsächlich sein Amt verließ. Allerdings: „Das war eine leichtere Übung.“
Ein dritter Push-Faktor ist die Entsendung. Eine Großfamilie bekommt mit, dass es einer anderen Familie jetzt besser geht, weil einer aus Europa Geld schickt. Also legt die Familie bis zu 3 000 Euro zusammen und schickt ein Familienmitglied auf die gefährliche Reise, die oft schon in der Wüste Sahara tödlich endet. In Nigeria konkurrieren derzeit zwei Botschaften: In der Presse ist immer wieder von Rückkehrern zu lesen, wie schwierig und gefährlich ihre Reise war. Auf der anderen Seite gibt es in den sozialen Medien Erfolgsmeldungen.
Afrikaner sind fleißige Menschen
Als Gründe für Optimismus nennt Kirchner zuerst die menschlichen Ressourcen Afrikas. Er ist von der positiven Einstellung einfacher Leute erstaunt. „Es gibt wenig Aufstand und sehr geduldige, fleißige, erfindungsreiche Leute. Es wird viel und hart gearbeitet in Afrika.“
Kenia ist Weltmeister im Bezahlen mit mobilem Geld, jeder habe dort ein Handy, in Nigeria wächst ein großer Fruchtsaftproduzent heran. Hoffnung setzt Kirchner auch in Institutionen wie die Afrikanische Union. Sie wolle eine afrikanische Freihandelszone schaffen. „Das wäre ein riesiger Fortschritt.“
Manche Zuhörer wollten diesen Optimismus nicht teilen: Was ist mit dem Bevölkerungswachstum, mit Klimaveränderungen und Land-Grabbing durch China? Das sind Gefahren, die Kirchner auch sieht. Brauche Deutschland ein Einwanderungsgesetz? Ja, dringend, aber es sei kein Ersatz für humanitäre Hilfe. Und: Verlassen Fachkräfte andere Länder, fehlten sie dort - andererseits erhalte Afrika durch Überweisungen von Auswanderern pro Jahr 40 Milliarden Euro. Wie steht es um seine eigene Sicherheit in Nigeria? - Wenn nötig, wird er auf Reisen von der Polizei begleitet.