Kirchheim
„Wir sind alle geprägt von Rassismus“

Diskriminierung In einem Online-Vortrag half Alexa Conradi den Zuhörern, den Blick für eigene Vorurteile zu schärfen. Sie sind oft ganz unbewusst, aber eben trotzdem da. Von Peter Dietrich

Alexa Conradi koordiniert die Antidiskriminierungsstelle Esslingen des Kreisverbands der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und kennt viele Gesichter des Rassismus. Bei einem Online-Rassismusvortrag berichtete sie offen von ihrer eigenen Entwicklung und ihren Erfahrungen in Kanada. Dort stammen viele Taxifahrer aus Haiti, Algerien oder Tunesien. Sie selbst wollte ein Taxi nehmen, an dem zwei dunkelhäutige Männer miteinander sprachen. Für Alexi Conradi war sofort klar, dass dies zwei Fahrer waren. Doch nein: Der zweite Mann war Fahrgast, der gerade selbst einsteigen wollte.

Ein zweites Beispiel, bei dem die Referentin ihre eigenen Bilder und Vorurteile bearbeiten musste: Sie mag Tennis sehr, also sollte sie doch auch ein Fan der Weltklassespielerin Serena Williams sein und diese mögen. Doch sie tat es nicht und fragte sich, woran das lag. „Ich habe die Idee der aggressiven schwarzen Frau gehabt.“ Es hatte gar nichts mit der Tennisspielerin zu tun, sondern mit den eigenen Schubladen im Kopf. „Das musste ich überwinden.“

Alexa Conradi ist überzeugt: „Wir sind alle geprägt von Rassismus.“ Er sei ein Teil der Gesellschaft, aber manche Bilder stimmten einfach nicht: Es werde gesagt, Migranten sollten zuerst die Sprache lernen und dann eine gute Ausbildung machen. Von den schwarzen, in Kanada geborenen Frauen hätten 31 Prozent studiert, derselbe Anteil wie bei Nichtschwarzen. Dennoch sei die Arbeitslosenquote bei ihnen höher und der durchschnittliche Verdienst erheblich geringer. „Obwohl sie die Ausbildung haben, profitieren sie nicht von den Aufstiegsmöglichkeiten.“ Es sei eine trickreiche Logik, soziale Benachteiligung mit den Eigenschaften der Benachteiligten zu begründen - so zu tun, als seien sie selbst schuld.

„Kategorien von Menschen sind nicht einfach da, sie werden erschaffen.“ Dann werde so getan, als ob die Einteilung natürlich wäre. Menschen würden auf ihre angebliche Essenz reduziert, als seien alle in dieser Gruppe gleich. Wie unangemessen das ist, zeigt der Referentin der Blick nach Deutschland: „Ich kenne keine deutsche Homogenität.“

Sichtbar und unsichtbar

Die Epoche der Aufklärung zielte auf Wissenschaft, Vernunft, Menschenrechte und Gleichheit. Doch zugleich blühten mit dem Kolonialismus Ausbeutung und Entrechtung. Wie passt das zusammen? Wer andere so diskriminiert, braucht eine Legitimation, teilt etwa die Welt in ein „zivilisiertes Europa“ und einen unzivilisierten Teil ein. Die Anregung von Alexa Conradi: Jeder möge sich fragen, womit heute rassistische Strukturen begründet werden.

Rassismus habe eine sichtbare und unsichtbare Dimension, es gebe ihn absichtlich und unabsichtlich, grob und subtil, betonte die Referentin. Sie ermunterte, kritischen Stimmen aufmerksam zuzuhören und auch einmal andere Bücher zu lesen und Filme anzuschauen als bisher. Jeder solle die Botschaften seiner eigenen Kindheit kritisch betrachten - woher kommen meine Eigenschaften, meine Bilder im Kopf? Spreche in Deutschland jemand gut Englisch und Französisch, werde das geschätzt. Wie aber sei das etwa bei Türkisch?

Der Vortrag war Teil der „Kirchheimer Wochen gegen Rassismus“, eingeladen hatten die Stadtverwaltung und der Integrationsrat. Dr. Jürgen Berghold und Ali-Babak Rafipoor sammelten die Zuschauerfragen.