Kirchheim
„Wir spüren schon eine Offenheit im Kirchheimer Umland“

Inklusion Noch mehr Flexibilität bei Arbeitgebern und Behörden wünscht sich Mirko Theil bei der Integration von Menschen mit Behinderungen. Die Arbeit in den Werkstätten ist für ihn aber nicht zu ersetzen. Von Thomas Zapp

Es ist eine knifflige Arbeit, die Sorgfalt erfordert: Janina montiert einen Schalter mit Magneten, Gummi und Feder. Später wird er einmal in einen hochwertigen Akku-Schrauber eingebaut. Jasmin setzt an ihrem Arbeitsplatz in der WEK, den Werkstätten Esslingen Kirchheim, Ringe für eine Fahrradschaltung zusammen. All diese Teile müssen im späteren Einsatz reibungslos funktionieren. Nicht mehr und nicht weniger erwarten die Auftraggeber, allesamt renommierte Firmen aus der Region.

Die Gruppenleiter Thomas Moser und Raphael Frei wissen das und kontrollieren entsprechend genau. Je nach Teil gehen pro Jahr zwischen 5000 und 30 000 Stück aus der Werkstatt in Kirchheim raus. Gleichzeitig achten sie aber auch auf ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Denn sie alle haben eine geistige oder körperliche Behinderung und benötigen immer mal wieder Pausen oder eine besondere Zuwendung.
 

Das bringt den Menschen aus dem Alltag, demotiviert und zerstört Vertrauen.
Mirko Theil
über bürokratische Hürden, die bei einem Mitarbeiter die Rückkehr in die Werkstatt verzögert haben. 

 

Ginge es nur um die berufliche Perspektive, wäre die Situation günstig für Menschen wie Jasmin und Janina: Die Inklusion von Menschen mit Behinderung ist politisch gewollt, Arbeitskräfte werden derzeit in fast allen Branchen händeringend gesucht. Es läge nahe, mehr Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzubringen. Aber trotz dem Einsatz der Job-Coaches sind die Firmen nicht immer davon zu überzeugen. Denn: Der Arbeitsplatz muss auch auf die Behinderung angepasst sein.

Der Leiter des Arbeitsbereichs in der WEK, Mirko Theil, arbeitet seit mehr als 20 Jahren mit Menschen, die unterschiedlichste Behinderungen haben und weiß, dass ein Verlassen des geschützten Arbeitsraums auch Beeinträchtigungen mit sich bringt, die auf den ersten Blick nicht groß erscheinen. Das fängt beim öffentlichen Nahverkehr an und geht bis zum barrierefreien Arbeitsweg und Arbeitsplatz für einen Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung.

Dabei unterscheidet Mirko Theil ausdrücklich nicht zwischen Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung. Die Hemmnisse seien lediglich unterschiedlich, sagt er: Ein Rollstuhlfahrer benötigt Platz, ein barrierearmes Umfeld. Ein Mensch mit einer geistigen Behinderung benötigt hingegen andere Rahmenbedingungen, da muss das Aufgabenfeld gut strukturiert sein und die Orientierung im Unternehmen möglich sein. Das sei gerade in Großbetrieben nicht immer einfach.

Trotzdem hat die WEK die letzten Jahre viele Menschen mit Behinderung dauerhaft auf den ersten Arbeitsmarkt vermittelt. Der Weg geht meist von der Werkstatt in die Außenarbeitsgruppen oder in die eigenen Cafés in Esslingen, Plochingen und Kirchheim. Dann folgen Praktika in Betrieben. Der Übergang kann dann gelingen – „wenn Mensch und Betrieb das wollen“, betont der Leiter.

Aber es gibt auch negative Erfahrungen: „Wir hatten einen Mitarbeiter, der nach mehreren Jahren aus gesundheitlichen Gründen seinen Arbeitsplatz am ersten Arbeitsmarkt aufgeben musste. Da gibt es dann aber leider immer noch bürokratische Hürden und das ist ein echtes Problem. Bei ihm hat es letztlich fast zwei Jahre gedauert, bis er wieder bei uns anfangen konnte.“ 

Dabei ist die Werkstatt im Kirchheimer Industriegebiet Kruichling alles andere als eine Beschäftigungstherapie. „Wir stellen Produkte für den ersten Arbeitsmarkt her und konkurrieren weltweit mit Unternehmen“, sagt Mirko Theil. Gleichzeitig müsse man nach dem Solidarprinzip verfahren, in dem die Stärkeren helfen, die Arbeitsplätze der Schwächeren mit zu erhalten. Dafür sei man sehr flexibel, neue Arbeitsprozesse in kurzer Zeit zu integrieren. „Bei uns macht niemand stumpf immer das Gleiche“, betont Raphael Frei.

„Meistens gute Laune“

Wer die helle Werkstatt mit den Arbeitsinseln besucht, stellt schnell fest, dass die Arbeitsatmosphäre entspannt, aber auch konzentriert ist. Dennoch gibt es für die 28 bis 30 Menschen immer wieder Freiräume für individuelle Pausen. Zwischen den Inseln spaziert „Mila“, die Hündin von Thomas Moser, um sich eine Streicheleinheit abzuholen. In der Tagesleistung jedes einzelnen gebe es natürlich Schwankungen. „Wir müssen das Pensum ständig anpassen“, erklärt Raphael Frei. Dafür hätten sie generell Ausdauer und ein extremes Qualitätsbewusstsein, sowie viel Spaß bei der Arbeit. „Bei uns herrscht meistens gute Laune“, sagt der Bereichsleiter.

Der Übergang von der Werkstatt auf den ersten Arbeitsmarkt gelingt aber durchaus, wenn auch gemäßigt. Im Schnitt werden pro Jahr drei von insgesamt 240 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dem ersten Arbeitsmarkt eingestellt, etwa bei einem Zulieferbetrieb in Bissingen oder einem Möbelhaus in Kirchheim.

„Wir spüren hier im Kirchheimer Umland schon eine Offenheit gegenüber diesem Thema. Aber zum einen müssen es die Menschen wollen, und zum anderen muss der Rahmen passen“, wünscht sich Mirko Theil Flexibilität bei den Unternehmen. Man müsse sich überlegen, was so ein Wechsel mit den Menschen mache, wenn sie sich alleine durchbeißen müssen und einen anderen Rhythmus bekommen.