Kirchheim

Wirte müssen anschreiben lassen

Sofortprogramm Die Landesregierung hat zur Eindämmung der Krise ein beispielloses Hilfspaket für Selbstständige geschnürt. Vor allem Gastronomen ohne Einkommen beklagen, dass das Geld zu langsam fließt. Von Bernd Köble

Bei schönem Frühjahrswetter brummt normalerweise das Geschäft der Gastronomie. Jetzt wird alles durch Corona ausgebremst Archiv-
Bei schönem Frühjahrswetter brummt normalerweise das Geschäft der Gastronomie. Jetzt wird alles durch Corona ausgebremst. Archiv-Foto: Jean-Luc Jacques

Über manche Begriffe lässt sich streiten. Was das Adverb „sofort“ betrifft, lässt auch der Duden wenig Raum für Interpretationen. Sofort heißt unmittelbar, unverzüglich - eben sofort. Das Soforthilfeprogramm der Landesregierung für Selbstständige, Freiberufler und kleinere bis mittlere Unternehmen soll die heimische Wirtschaft in der Coronakrise vor Pleiten bewahren. Schnelles Geld, wenn Einkünfte plötzlich wegbrechen und Fixkosten bleiben. Bei allen Bedenken, wie 6,2 Milliarden Euro vom Land zu finanzieren seien, gab es dafür viel Lob aus Politik und Wirtschaft. Nur: Seit dem Start der Hilfen am 25. März sind zwei Wochen vergangen, und vor allem bei Gastronomen, die von der Krise besonders hart betroffen sind, ist kaum etwas angekommen von dem Geld.

Michael Holz war in Kirchheim der Erste, der seine Gaststätte freiwillig zugesperrt hat, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Im „3K“ in der Dreikönigstraße fiel der Vorhang noch ehe die gesamte Gastronomie im Land per Verordnung auf Eis gelegt wurde. Holz war auch einer der Ersten, die einen Antrag auf finanzielle Soforthilfe gestellt haben. Geld hat er wie fast alle seiner Kollegen bisher nicht überwiesen bekommen. „Die Stimmung ist äußerst angespannt,“ sagt er. „Bei vielen ist das Lager mit bereits bezahlter Ware voll, die meisten Kosten laufen weiter, aber es kommt seit zwei Wochen nichts mehr rein.“ Seine Kritik richtet sich vor allem gegen Banken: gegen staatliche Banken wie die L-Bank, die bis zum Wochenende 104 Millionen Euro aus dem milliardenschweren Fördertopf ausbezahlt hat und die nach der Bewilligung durch IHK und Handwerkskammer die Anträge ein zweites Mal prüft. Aber auch gegen kleinere Hausbanken, die für Kontokorrentkredite bei kurzfristigen Zahlungsschwierigkeiten zehn Prozent Zinsen und mehr in Rechnung stellen. „Das war sicher alles nicht im Sinne des Erfinders“, sagt Holz, der als Unternehmer auch für die Grünen im Kreistag sitzt.

Sein Kirchheimer Parteifreund Andreas Schwarz wirbt bei aller Not um Geduld. „Es wurden bis zum Wochenende bereits mehr als 230 000 Anträge bearbeitet. Das ist viel“, meint der Fraktionschef der Grünen im Landtag. Die Bearbeitung benötige Zeit, obwohl man die Verfahren mittlerweile vereinfacht habe. Durch die Liquiditätsbrücke, die mit weiteren Säulen wie Bürgschaften und zinslosen Darlehen inzwischen auch mittlere Betriebe einschließe, habe die Regierung im Land zudem ein klares Signal an die Banken gesendet, sich in ähnlicher Weise solidarisch zu zeigen. „Auch Hausbanken müssen ihren Beitrag leisten“, sagt Schwarz. Erst gestern hat die Bundesregierung weitere Hilfen auch für Betriebe mit mehr als 50 Mitarbeitern angekündigt. Der KfW-Schnellkredit soll bis zu einem Höchstbetrag von 800 000 Euro ausbezahlt werden.

Manchmal eher zu schnell

Wenig Verständnis für Kritik zeigt der Kirchheimer CDU-Abgeordnete im Landtag, Karl Zimmermann. Er verweist auf das Wirtschaftsministerium seiner Partei, wonach gestern 80 000 Anträge auf Soforthilfe zur Auszahlung freigegeben worden seien. „Ohne Prüfung gehe es nun mal nicht, meint der CDU-Politiker. „Mir geht das manchmal eher zu schnell.“ Seine Sorge: Dass viele Kleinbetriebe Hilfen in Anspruch nehmen, die auch ohne Zuschüsse über die Runden kämen. Bei ihm zu Hause stehe das Telefon zurzeit nicht mehr still, weil sich Leute nach Wegen erkundigten, um an Geld zu kommen. Zimmermann: „Bei mancher Nachfrage habe ich schon meine größten Zweifel.“

Viele Anträge sind lückenhaft

Ausfüllen, absenden, hoffen - die Soforthilfe des Landes soll kleineren Betrieben aus der finanziellen Klemme helfen.Foto: Marku
Ausfüllen, absenden, hoffen - die Soforthilfe des Landes soll kleineren Betrieben aus der finanziellen Klemme helfen.Foto: Markus Brändli

Unter Hochdruck arbeiten IHK und Handwerkskammern im Land zurzeit an Anträgen auf Soforthilfe für Soloselbstständige, Freiberufler und Unternehmen mit bis zu 50 Beschäftigten. Die Einmalzahlungen zur Überbrückung von Zahlungsengpässen liegen je nach Bedarf und Größe des Betriebs zwischen 9 000 und 30 000 Euro für die Dauer von drei Monaten. Das Online-Formular gibt es auf der Seite des baden-württembergischen Wirtschaftsministeriums oder auf der Internetseite der Kammern.

Die Handwerkskammer Stuttgart allein verzeichnete bis gestern rund 8 500 Anträge seit Start des Hilfsprogramms am Mittwoch, 25. März. Die Hälfte davon sei inzwischen an die L-Bank zur Auszahlung weitergeleitet worden, sagt die Sprecherin der Handwerkskammer, Julia Häcker. Die Vertretung des Gesamthandwerks hat dafür zusätzliches Personal abgestellt. Mehr als 80 Mitarbeiter in Stuttgart sind mit der Bearbeitung der Anträge beschäftigt.

Schwierigkeiten bereiten Formulare mit fehlenden oder unzureichenden Angaben. „Viele Anträge sind lückenhaft und müssen deshalb nachbearbeitet werden, was Zeit kostet“, sagt Julia Häcker. Meist seien Flüchtigkeitsfehler oder begriffliche Unsicherheiten die Ursache. Das Verfahren wurde vergangene Woche vereinfacht. Unter anderem wird auf einen Vermögensnachweis des Antragstellers verzichtet.

Abgelehnt wurden bisher nur wenige Anträge. Laut Handwerkskammer bewegt sich die Quote der Negativbescheide im einstelligen Prozentbereich. Dies seien häufig Fälle, in denen Betriebe mehr als die Höchstzahl von 50 Mitarbeitern beschäftigten. Neben den formalen Kriterien würden alle Anträge auf Plausibilität geprüft. „Dass es Trittbrettfahrer gibt, lässt sich dadurch trotzdem nicht vermeiden“, sagt die Kammer-Sprecherin.bk