Kirchheim

Wo gesungen wird, lässt sich grad keiner nieder

Musik Die Chöre im Landkreis warten auf praktikable Lösungen für Proben und Auftritte. Video-Sitzungen helfen zwar, sind aber kein Ersatz. Von Thomas Zapp

Gemeinsames Singen bleibt vorerst Zukunftsmusik. Chöre wie der Esslinger Liederkranz probieren sich online aus.Fotos: Markus Brä
Gemeinsames Singen bleibt vorerst Zukunftsmusik. Chöre wie der Esslinger Liederkranz probieren sich online aus. Fotos: Markus Brändli/pr

Liebe und Singen lässt sich nicht zwingen, sagt ein deutsches Sprichwort. Und obwohl die Liebe zum Gesang und die Sehnsucht nach gemeinschaftlichem Singen groß ist, halten sich die meisten Chöre mit ihren Proben noch zurück. „Ein Großteil unserer Sängerinnen und Sänger gehört zur Risikogruppe. Für diese tragen wir alle Verantwortung“, sagt Martin Emberger vom Chorverband Karl Pfaff mit Sitz in Ebersbach, zu dem 187 Chören in 74 Vereinen zählen. Er gibt den Mitgliedern die Empfehlung, auf Proben mit körperlicher Anwesenheit zu verzichten. Dabei hatte der schwäbische Chorverband (SCV) Anfang Juni in einer Pressemeldung schon Optimismus verbreitet, als er mit „Juhu“ einleitete und von einer „vorsichtigen Rückkehr zur Konzert- und Probenarbeit der Chöre“ schrieb.

Die Chöre und ihre Leiter sind aber komplett verunsichert. Proben sind laut SCV für bis zehn Personen im Freien erlaubt, in ganzer Besetzung nur zur Vorbereitung einer Veranstaltung. Eine solche muss aber erst mal stattfinden. Woanders geht es schneller: „Ab dem 1. Juli dürfen Musikschulen Gesangsunterricht bis zu 20 Personen abhalten. Dabei reichen zwei Meter Abstand“, sagt Martin Emberger. Für Freizeit-Chöre gilt: Mindestens drei Meter Abstand zu Nebenfrau oder Nebenmann, sechs Meter in Singrichtung. Man muss kein Innenarchitekt sein, um sich ausrechnen zu können, dass schon ein relativ kleiner Chor mit 30 Sängerinnen und Sängern große Probleme hätte, einen geeigneten Probenraum zu finden. Außerdem darf eine Probe maximal 45 Minuten dauern, und man muss danach jedes Mal den Fußboden reinigen. Kirchenchöre könnten dagegen wegen der hohen Decken ab vier Metern Sonderregelungen beanspruchen. „Die verschiedenen Regelungen sind unseren Mitgliedern schwer zu vermitteln“, sagt Emberger. Auch auf ihn nehme der Druck zu. Aber eine Anpassung der Landesverordnung stehe noch aus.

Singen in Corona Zeiten. Foto: Markus Brändli
Singen in Corona Zeiten. Foto: Markus Brändli

Auch Ralf Sach, Bezirkskantor der evangelischen Kirche in Kirchheim, wartet noch ab, auch wenn die Decke der Martinskirche hoch genug wäre. „Die Landeskirche empfiehlt pro singender Person eine Fläche von zehn Quadratmetern.“ Das Problem sei nicht nur der dafür notwendige Raum, sondern auch das Singen. „Der Abstand zwischen jedem Einzelnen ist zu groß. Chorsänger sind so einen Radius um sich herum nicht gewöhnt“, meint der Kantor. Proben könne man so nicht. Er plant, in enger Absprache mit Stadt und Kirchenleitung, nach den Sommerferien den Chorbetrieb „behutsam“ wieder aufzunehmen. Dazu bittet er die Mitglieder seiner Chöre bereits um Ideen. Eine hat er schon umgesetzt: Mit vier Leuten tritt er bei der Orgel-Vesper und im Sonntagsgottesdienst auf - immer in anderer Zusammensetzung, damit jeder mal drankommt. Das tue allen gut, sagt er.

Beim Kirchheimer Liederkranz Lindorf ist man ebenfalls kreativ geworden: Die montägliche Chorprobe wurde per Videokonferenz abgehalten. Da es sich als schwierig herausstellte, wegen der Zeitverzögerung bei der Videoübertragung gleichzeitig zu singen, kam Chorleiterin Anja Klinkhardt auf eine andere Idee: Jeder sang für sich den entsprechenden Part von Leonard Cohens „Hallelujah“ ein und nahm es mit Smartphone auf. Sie hat dann alles zusammengeschnitten. Das Ergebnis ist auf www.lindorferchoere.de zu bewundern. Chorproben sind aber noch nicht vorgesehen.

Symbolfoto: Note
Symbolfoto: Note

Heidrun Speck hat mit ihrem Plochinger Oratorien-Verein Ähnliches ausprobiert. „Vor zwei Wochen haben wir mit Stimm­übungen über Zoom begonnen“, sagt sie. Dann folgte ein erstes Highlight: „Am Tag der Musik in Plochingen haben fünf Personen von uns inklusive Leitung gesungen. Das war für uns ein unglaubliches Gefühl. Einige sagten zu mir: ‚Das hat mir gefehlt.‘“ Jetzt überlegt sie, im Freien zu proben. Bachs Weihnachtsoratorium im Dezember hat sie noch nicht abgeschrieben.

Wenn die Chöre nicht zeitnah eine Lösung bekommen, sieht Martin Emberger die Existenz einiger langjähriger Gesangsgemeinschaften gefährdet. „Wenn die Pause zu lange dauert, überlegen sich vielleicht gerade die Älteren, ob sie überhaupt noch einmal wiederkommen“, glaubt er. „Männerstimmen sind ohnehin knapp. Wenn von acht Sängern vier nicht mehr kommen, können sie keinen vollständigen Chorgesang umsetzen.“