Kirchheim

Wo ist der Kern der Zwiebel?

Kultur Das Landestheater Schwaben zeigt in der Kirchheimer Stadthalle Ibsens „Peer Gynt“.

Kirchheim. Der Abend begann mit einem starken Auftritt: Die neue Intendantin des Landestheaters Schwaben, Kathrin Mädler, gab höchst selbst eine lebendige Einführung in die Inszenierung, bei der sie Regie führte. Das relativ kleine Theater aus Memmingen stemmt ein literarisches Schwergewicht auf die Bühne: Ibsens „Peer Gynt“.

Das Werk nimmt eine Sonderstellung innerhalb von Ibsens Gesamtwerk ein. Weltruhm hat er mit realistischen Gesellschaftsdramen erlangt. Bei „Peer Gynt“ begibt er sich in einer frühen Phase in die Welt norwegischer Volksmärchen und Mythen. Die Reise des einfachen Bauernjungen Peer rund um die Welt war ursprünglich eine gereimte Erzählung und wurde erst später zum Bühnenstück umgearbeitet. Das Stück erwies sich als Vorläufer moderner Theaterformen. Poetisch passiert sogar ein Vorgriff auf tiefenpsychologische Erkenntnisse, beispielsweise taucht schon die Zwiebelmetapher auf für den Aufbau des Ichs.

Kathrin Mädler erklärte nun, welchen Zugriff sie als gelernte Dramaturgin auf diesen schwierigen Stoff gewählt hat. Wichtig ist ihr die Suche eines jungen Mannes nach der eigenen Identität durch Welterfahrung. Das ist aktuell und entspricht auch Ibsens eigenen Lebensproblemen. Der Autor hat sich nach Misserfolgen jahrzehntelang im Ausland aufgehalten, bis er sich spät mit seinem Heimatland Norwegen versöhnt hat. Zweiter Schwerpunkt der ­Inszenierung soll das Erzählen sein. Peer existiert durch seine Erzählungen. Sie sind einerseits Fluchtwege aus der Realität, andererseits aber auch eine wertvolle menschliche Qualität, die zum Beispiel in der Sterbeszene der Mutter zum Tragen kommt. Als dritten Schwerpunkt verwies Mädler auf das Thema „Lebenslüge“, das in allen Stücken Ibsens angesprochen wird. Der Zuschauer erfährt noch, dass als Textgrundlage die Übersetzung Christian Morgensterns dient und wird darauf vorbereitet, dass die Figur des Peer auf drei Darsteller mit drei verschiedenen Identitäten verteilt wird.

Das Bühnenbild zeigt links eine offensichtlich stecken gebliebene Gondel in Schieflage, rechts steht ein Mast mit Sprossenleiter. Die multifunktionale Kulisse bleibt immer gleich, wird höchstens von den Spielern in Ansätzen umdekoriert. Gleich am Anfang erzählt Peer seiner Mutter Aase eine Geschichte vom Ritt auf einem Bock durchs Gebirge, um seine lange Abwesenheit zu begründen. Die Mutter erkennt, dass er lügt, ist aber dennoch fasziniert. Leider litt diese wichtige Szene und noch weitere an akustischen Problemen. Das liegt einerseits an der Stadthalle. Zum andern ist es auch der Artikulation der Darsteller anzulasten.

Doch handlungsmäßig ist viel los. Peer entführt und verführt eine Braut, lernt Solvejg kennen. Sie ist ein modernes Mädchen mit einer Zigarette im Mundwinkel und elegischen Songs auf den Lippen. Peer hält aber nichts. Er begibt sich auf eine Weltfahrt in das Reich der Trolle und in andere Fantasiewelten, in denen er sich in eine Prinzen- oder Kaiserrolle hineinträumt.

Nach der Pause steht der Schauspieler des „Peer 2“ im Mittelpunkt – als Wirt, der die „ Gier“ zum Lebensprinzip gemacht hat. Die akustischen Verhältnisse wurden für den Zuschauer spürbar besser, warum auch immer. Mitgeholfen hat sicherlich, dass die Darsteller von „Peer 2“ und vor allem dann von „Peer 3“ ihre Botschaften klarer über die Bühne brachten als ihr Vorgänger.

Nach den Enttäuschungen in seinen Traumwelten entdeckt Peer, dass er sich etwas vorgemacht hat. Er erkennt, dass er wie eine Zwiebel bisher nur aus einzelnen Schalen bestanden hat und dass ihm der Kern, seine Identität, fehlt. Der „Knopfgießer“ will ihn als unfertig wieder „einschmelzen“. Im letzten Moment erkennt er, dass er schuldig geworden ist und dass bei Solvejg „sein Kaisertum“ liegt.

Das Landestheater Schwaben hat eine mutige Produktion nach Kirchheim gebracht. Die Truppe bewegte sich mit seinen Mehrfachrollen an der Grenze der Leistungsfähigkeit. Einigen Szenen, wie der Barszene, hätten Kürzungen gutgetan. Doch der Abend war getragen von dem hingebungsvollen Einsatz der Truppe und wurde vom Publikum mit anhaltendem Beifall belohnt. Ulrich Staehle