Kirchheim

Wohnen grätscht kaum dazwischen

Der Bolzplatz in der Kitteneshalde muss nicht komplett der Flüchtlingsunterbringung weichen

In Kirchheim soll auf dem Bolzplatz in der Kitteneshalde tatsächlich ein Wohngebäude entstehen – aber nur eines. Ausgelegt ist es für 34 Bewohner.

Das Bild oben zeigt zwei Standorte für Neubauten zur Anschlussunterbringung: Kitteneshalde (1) und Hafenkäs (2). Auf dem Bild re
Das Bild oben zeigt zwei Standorte für Neubauten zur Anschlussunterbringung: Kitteneshalde (1) und Hafenkäs (2). Auf dem Bild rechts ist der Bolzplatz der Kitteneshalde zu sehen. Das neue Gebäude dort entsteht parallel zu Straße, am hinteren Fußballtor.Fotos: Werner Feirer¿/¿Jean-Luc Jacques

Kirchheim. Ursprünglich einmal hatte die Stadtverwaltung gedacht, in der Kitteneshalde für wesentlich mehr Menschen günstigen Wohnraum schaffen zu können. Inzwischen aber hat sich herausgestellt – wie Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker im Gemeinderat erläuterte –, dass es sowohl aus technischen Gründen als auch wegen der Einfügung ins Viertel nicht möglich ist, mehr als ein Gebäude zu erstellen. Die Befürchtung vieler Anwohner, dass der komplette Bolzplatz und möglicherweise dazu noch der Spielplatz für die Anschlussunterbringung von Flüchtlingen „geopfert“ werden könnte, hat sich somit nicht erfüllt. Bei 34 neuen Mitbewohnern im Viertel ist auch die Gefahr der Gettoisierung nicht so groß, wie wenn es mehr als hundert wären.

Das Gebäude soll nun direkt an der Straße „Kitteneshalde“ entstehen, im nördlichen Teil des Bolzplatzes. Der Sportplatz selbst wird deswegen aber nicht völlig verschwinden, er weicht lediglich nach Süden aus und wird dazu noch in seiner Ausrichtung verschwenkt: Statt nord-südlich können die Hobbyfußballer künftig also west-östlich kicken.

Einen der technischen Gründe, warum sich nicht mehr als ein Gebäude errichten lässt, nannte Stadtplanungschef Gernot Pohl: „Der Verlauf einer möglichen Nordwesttangente muss an dieser Stelle frei bleiben.“ Gegen eine dreigeschossige Bebauung sei aus städtebaulicher Sicht nichts einzuwenden: „8,50 Meter Traufhöhe sehen wir als unproblematisch an.“ Das Gebäude schließe sich ja nicht unmittelbar an die eingeschossige Bebauung in der westlichen Nachbarschaft an. „Da bleibt noch eine Lücke.“

Der Aufstellungsbeschluss, den der Gemeinderat für den Bebauungsplan gefasst hat, ermöglicht Gernot Pohl zufolge „langfristig günstigen Wohnungsbau“. Das Gebäude solle 50 Jahre stehenbleiben können und Menschen beherbergen, „die hier nichts mehr finden auf dem Markt“. Übergangsweise könne es auch von Flüchtlingen bewohnt werden.

An diesem Punkt entzündete sich im Gemeinderat eine Grundsatzdebatte. Während Bettina Schmauder (Freie Wähler) von einer „uneinheitlichen Stimmungslage“ in ihrer Fraktion berichtete, weil die direkte Nähe zum Standort Hafenkäs für Bedenken sorge, sprach Eva Frohnmeyer-Carey (Frauenliste) von der Möglichkeit, „auf einen Bedarf zu reagieren, den wir im Moment nur ganz schlecht abschätzen können“. Die Kitteneshalde sei Teil eines viel größeren Konzepts. Wenn dort 34 Menschen untergebracht werden und gegenüber im Hafenkäs 68, sehe die Frauenliste „keine Gefahr für ein Getto“.

Noch grundsätzlicher wurde Andreas Kenner (SPD): Er sprach von Landesmitteln, die für diese Gebäude beantragt seien – und zwar nicht für soziales Wohnen allgemein, sondern für die Anschlussunterbringung von Flüchtlingen. Die Folge: „Da kann niemand wohnen, der von Hartz IV lebt und drei Kinder hat.“ Immer öfter werde er in letzter Zeit gefragt: „Was muss ich denn tun, damit ich auf der Klosterwiese wohnen kann?“ Der besagte Hartz IV-Empfänger könne da eben gar nichts tun: „Der kann nicht auf die Klosterwiese ziehen, und diesen Eindruck sollten wir auch gar nicht erst erwecken.“ Im Landtagswahlkampf habe er gemerkt, wie wichtig es ist, den Wählern die Wahrheit zu sagen und nichts zu beschönigen. Deshalb machte er sich nun im Gemeinderat dafür stark, nicht mehr von geplanten Unterkünften für Obdachlose zu reden, sondern konkret für bleibeberechtigte Flüchtlinge.

Oberbürgermeisterin Matt-Heidecker hielt dagegen, dass das Argument mit den beantragten Landesmitteln nur für Lindorf und den Hafenkäs gelte, nicht aber für weitere Bauprojekte: „Wir haben keine neuen Anträge mehr gestellt, weil das Programm des Landes längst überzeichnet war.“ Aber jetzt müsse eben auch an anderen Stellen das notwendige Planungsrecht geschaffen werden, „weil wir nicht wissen, wie hoch der Bedarf ist. Auch über den Familiennachzug wissen wir nichts.“ Trotzdem solle Wohnraum für Menschen geschaffen werden, die vor der Obdachlosigkeit stehen – und zwar unabhängig davon, wo sie herkommen.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Walter Aeugle wollte das so nicht stehen lassen: „Das wird von der Bevölkerung etwas anders gesehen. Unser Ziel ist es, Gebäude zu erstellen, die nur der Anschlussunterbringung von Flüchtlingen dienen.“ Und das müsse eben auch kommuniziert werden.

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Ehrlichkeit statt EuphemismusKommentar

Wenn die Stimmung aufgeheizt ist, geht es darum, Dampf aus dem Kessel zu nehmen, zu deeskalieren, zu beschwichtigen. Das alles klingt gut und ist auch gut gedacht. Man kann es aber auch anders nennen: schönreden, euphemistisch verbrämen.

Genau so ist das mit der Frage, ob die Stadt Kirchheim auf nahezu allen erdenklichen freien Grünflächen nun Gebäude für Flüchtlinge erstellt oder für Obdachlose. Rein rechtlich ergibt sich die Sachlage tatsächlich aus der kommunalen Unterbringungspflicht für Obdachlose. Weil Flüchtlinge in dem Moment, in dem sie anerkannt oder zumindest geduldet sind, rechtlich zu Obdachlosen werden, muss sich die jeweilige Kommune, die diese Flüchtlinge zur Anschlussunterbringung zugeteilt bekommt, den entsprechenden Wohnraum bereitstellen – egal wie. Und weil der Markt nicht genügend Wohnungen hergibt, muss die Stadt eben selbst bauen.

Diese Zwangslage gilt es zu vermitteln. Und zwar ehrlich. Wenn da aber nicht von „Flüchtlingen“ die Rede ist, sondern speziell von „Neubürgern“ oder allgemein von „Obdachlosen“, dann ist das eine Form der Augenwischerei, die beschwichtigend wirken soll: Wir bauen doch nur für die vielen Obdachlosen in unserer Stadt, für die neuen Bürger, die eben noch nicht so gut situiert sind wie die – ja was denn: „Altbürger“?

Viel Unmut in der Bevölkerung entsteht aus dem Gefühl heraus, „angelogen“ und dadurch für dumm verkauft zu werden. Die vermeintliche Beschwichtigung von offizieller Seite wirkt deshalb kontraproduktiv. Statt Druck aus dem Kessel zu nehmen, heizt sie die Stimmung noch mehr auf. Ehrlichkeit wäre besser. Einzelne Stadträte haben das jetzt immerhin erkannt.    ANDREAS VOLZ