Kirchheim
Wohnen: Was heißt eigentlich „bezahlbar“?

Stadtführung Die Landtagsabgeordneten Andreas Schwarz und Andreas Kenner führten rund 60 Gäste durch Kirchheim und gingen dabei vor allem auf den Wohnungsbau und auf moderne Wohnformen ein. Von Andreas Volz

Groß war das Interesse an der „überparteilichen Stadtführung“ in Kirchheim, die die beiden Landtagsabgeordneten Andreas Schwarz (Grüne) und Andreas Kenner (SPD) angeboten haben. Ob das am Thema „bezahlbarer Wohnraum“ lag oder an der Erwartungshaltung, dass Andreas Kenner seine gewohnt lockeren Sprüche einstreuen werde, sei dahingestellt. Aber eins steht fest: Trotz aller Bemühungen der Stadt Kirchheim, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, waren bei der Führung lockere Kenner-Sprüche wesentlich leichter zu bekommen als eine günstige Wohnung.

Das begann schon bei der Frage, was „bezahlbar“ eigentlich heißt. Andreas Kenner stellte dazu fest: „Das ist ein relativer Begriff. Hundert Euro für eine Flasche Whisky sind für viele bezahlbar. Die Frage bleibt aber, ob das viel Geld ist oder wenig.“ Beim Whisky kommt es sicher darauf an, ob man sich das leisten will oder nicht. Beim Wohnen dagegen kommt es häufig darauf an, ob man es sich überhaupt leisten kann. Eine andere Frage tauchte eher am Rande auf, gestellt von einer Teilnehmerin: „Was kann ich gegen die extrem hohen Wohnnebenkosten tun?“

Darauf gab es keine Antwort. Beim „bezahlbaren Wohnraum“ dagegen ging es um die Sozialbauverpflichtung, die Bauträger in Kirchheim dazu auffordert, eine gewisse Anzahl an Wohnungen eines Neubauprojekts um 30 Prozent unterhalb der ortsüblichen Miete zu vermieten. Mit dem früheren Begriff „Sozialwohnung“ hat das nichts zu tun, denn Andreas Schwarz nannte die Bedingungen, unter denen jemand zu den Anspruchsberechtigten zählt: „Das gilt beispielsweise für eine Familie mit zwei Kindern, deren Bruttojahreseinkommen 65 000 Euro nicht überschreitet.“ Andreas Kenner ergänzte: „Es gibt sehr viele Haushalte, die unterhalb dieser 65 000 Euro jährlich liegen.“

Kostengünstiges Wohnen geht nur durch preisgünstiges Bauen, was schon wieder neue Widersprüche mit sich bringt: „Wir wollen ja nicht billig bauen, sondern gut und nachhaltig“, betonte Andreas Kenner und ergänzte: „Wenn dann ein Grundstückseigentümer die Preise nach oben treibt, wird es schwierig mit dem bezahlbaren Wohnraum.“ Entsprechend lobte Andreas Schwarz die Konzeptvergabe der Stadt Kirchheim für das Steingau-Quartier: „Da waren soziale und ökologische Kriterien wichtiger als die Möglichkeit, Höchstpreise zu erzielen.“

Bei den Wohnkonzepten im Steingau-Quartier lag ein Schwerpunkt der Stadtführung, die außerdem ins Hallenbad-Quartier in der Friedrichstraße und in den Henriettengarten auf dem ehemaligen Ficker-Areal führte. Speziell im Hallenbad-Quartier standen die neuen Wohnformen im Vordergrund: Die Gebäude dort haben Terrassen, die an der gemeinsamen „Gasse“ liegen. Ein Bewohner verglich das mit Urlaub auf dem Campingplatz: „Die Kinder machen die Türe auf, und überall sind andere Kinder.“ Wie so oft, gilt auch hier, dass alles eine Frage des Geschmacks ist – oder wie Andreas Kenner feststellte: „Wer das will, für den ist es klasse. Wer es nicht will, für den ist das auch nichts.“ So isch‘s na au wieder!

 

Ehrung für aufrechte Demokraten

Kirchheim. Etwas zu kurz gekommen ist bei der Stadtführung von Andreas Schwarz und Andreas Kenner das zweite Thema: die Straßennamen im Steingau-Quartier. Rosa Heinzelmann, Carl Mayer, Otto Mörike und Paul Schempp sind Kirchheimer, die aus ihrer demokratischen oder religiösen Überzeugung heraus den Nationalsozialismus ablehnten. Sie erlitten dadurch große Nachteile – nicht zuletzt auch beruflich, in jeder Hinsicht aber existenziell – und mussten teilweise auch um Leib und Leben fürchten.

Etwa hundert Jahre vor ihnen lebte Friedrich Tritschler, der als wesentlicher Kirchheimer Akteur in den Revolutionsjahren 1848/49 Bedeutung erlangte. Als gewählter Abgeordneter der württembergischen Landesversammlung war er gewissermaßen ein Vorläufer von Andreas Schwarz und Andreas Kenner. Und doch gab es einen großen Unterschied: Tritschler konnte sein Mandat nie ausüben, weil er sich der drohenden obrigkeitlichen Verfolgung nur durch Flucht ins Ausland entziehen konnte. Die Immunität für Abgeordnete konnte er seinerzeit nicht für sich in Anspruch nehmen.

Jetzt gibt es eine Friedrich-Tritschler-Straße

Andreas Kenner erinnerte am provisorischen Schild der „Friedrich-Tritschler-Straße“ im Steingau-Quartier an einen Artikel, den der Kirchheimer Journalist Joachim Mohr vor sieben Jahren in einer Ausgabe von „Spiegel Geschichte“ über Tritschler und die Revolution „in der württembergischen Kleinstadt Kirchheim unter Teck“ geschrieben hatte. Am Schluss habe es geheißen, dass nach wie vor keine Straße in Kirchheim nach Friedrich Tritschler benannt ist. „Das haben wir jetzt geändert“, freute sich Andreas Kenner.

So ernst das Thema ist, wenn es um Menschen geht, die sich unter Einsatz von Leib und Leben für die Demokratie einsetzen, so sehr reizte es Andreas Kenner, auch in diesem Fall noch leicht ironische Kommentare abzugeben: „Andreas Schwarz und ich werden es nicht erleben, dass nach uns eine Straße in Kirchheim benannt wird. Das kann aus gutem Grund erst dann passieren, wenn man schon mindestens 20 Jahre tot ist.“

Zu einem Kirchheimer Revolutions-Manifest, das zuletzt ein Jahr lang in Trier zu sehen gewesen sei – in der Ausstellung zum 200. Geburtstag von Karl Marx –, bemerkte Andreas Kenner: „Da heißt es, ein freier Mann dürfe überall frei reden. An den Rand hat einer geschrieben: ,Gilt das auch bei mir daheim?‘“ Das ist eine Frage der Basisdemokratie.    Andreas Volz