Kirchheim

Zu wenig Plätze für zu viele junge Menschen in Not

Soziales​ Die Jugendhilfe-Einrichtungen im Kreis klagen über einen dramatischen Fachkräftemangel. Von Ulrike Rapp-Hirrlinger

Mitarbeiter gesucht: Auch die Ziegelhütte in Hepsisau gehört zu den Jugendhilfe-Einrichtungen im Kreis. Archivfoto: Jean-Luc Jacque

Träger der Jugendhilfe im Landkreis Esslingen schlagen Alarm: Seit geraumer Zeit ist es für sie schwierig, Fachkräfte für ihre stationären Einrichtungen zu gewinnen. Dabei wächst der Bedarf an betreuten Wohngruppen, nicht nur durch die steigende Zahl unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter (UMA). Die oft traumatisierten jungen Menschen müssen dadurch länger in Notunterkünften bleiben. Auch für andere Kinder und Jugendliche, die aus den unterschiedlichen Gründen nicht in ihren Familien bleiben können und in Jugendhilfe-Einrichtungen betreut werden müssten, fehlen mangels Personal Betreuungsplätze. „Diesen Mangel an Fachkräften im Bereich der erzieherischen Hilfen hat die Öffentlichkeit viel zu wenig im Blick. Alle sprechen nur vom Mangel in der Altenhilfe und in Kitas“, sagt Jürgen Knodel, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Tragwerk in Kirchheim.

Kapazitäten ausgeschöpft

Dabei ist auch die Situation in der Jugendhilfe prekär: „Einige Träger können niemanden mehr aufnehmen, weil ihre Kapazitäten ausgeschöpft sind“, erklärt Michael Müller von Jugendhilfe aktiv in Esslingen. Jedoch erfülle die Jugendhilfe eine wichtige Rolle im Kinderschutz, sei zur Unterbringung gefährdeter Kinder und Jugendlicher verpflichtet, so Jens Binder-Frisch, Vorstandsmitglied des Michaelshofs in Hepsisau. „Wenn wir wegen personeller Engpässe Angebote einschränken, gefährdet dies das Kindeswohl.“ Vielmehr brauche es zusätzliche Regelangebote für vollstationäres und betreutes Wohnen, sagt Marcus Delan, Einrichtungsleiter der Kinder- und Jugendhilfe Neuhausen. Deshalb kommt es für ihn nicht in Frage, Gruppen zu schließen. Zudem müsse man Plätze vorhalten, um Kinder in akuter Not unterzubringen.

Bleiben Stellen unbesetzt, müssen die vorhandenen Kolleginnen und Kollegen in der Betreuung mehr leisten. Das laugt aus. Dabei ist die Betreuung von jungen Menschen eine vielseitige und erfüllende Aufgabe. „Ich kann in der Jugendhilfe benachteiligten Kindern neue Startchancen vermitteln“, sagt Benjamin Karner, der in der Stiftung Tragwerk arbeitet. Die Mitarbeitenden erleben oft große Dankbarkeit, wenn sie für die jungen Menschen ein „Anker im Leben“ sein können, wie sein Kollege Adrian Streicher ergänzt. Gesucht werden weibliche und männliche Jugend- und Heimerzieher, Erzieher oder Sozialpädagogen. Sie arbeiten in WG-Teams, die die Bewohnerinnen und Bewohner rund um die Uhr betreuen und diese dadurch in ganz unterschiedlichen Stimmungen und Situationen kennenlernen. „Damit sind sie nah dran an der Entwicklung der jungen Menschen“, sagt Jens Binder-Frisch. 

Der Beruf sei nicht nur vielseitig, abwechslungsreich und biete ein hohes Maß an Autonomie, sondern ermögliche es auch, eigene Interessen wie Sport, künstlerisches Gestalten, Kochen oder Basteln in die Arbeit einzubringen, erklärt Fabian Erhardt, Geschäftsführer der gemeinnützigen GmbH Sozialpädagogische Wohngruppen und Werkstatt für persönliche Entwicklung mit Standorten in Plochingen und Aichwald. Und oft sehen die Betreuer den Erfolg ihrer Arbeit im weiteren Lebensweg ihrer Schützlinge. Wenn junge Geflüchtete eine Ausbildung zum Erzieher, Alten- oder Krankenpfleger machen, ein Handwerk erlernen oder sich ehrenamtlich als Dolmetscher engagieren, sind dies auch für die Jugendhilfe-Mitarbeiter schöne Erfahrungen. Jens Binder-Frisch nennt ein Beispiel: Von zehn UMAs einer WG auf dem Michaelshof, die man 2015/2016 betreut hat und die alle kein Wort Deutsch konnten, haben inzwischen fast alle einen Schulabschluss. „Die Hälfte ist berufstätig, manche machen eine Ausbildung oder haben eine in Aussicht.“ Infos gibt es unter www.age-esslingen.de.