Kirchheim

Zwei Stiche in den Hals

Wie aus einer Jugendfreundschaft ein Mordversuch wird

Die dritte Große Jugendstrafkammer am Stuttgarter Landgericht ging der Frage nach, wa­rum ein 19-Jähriger seinem besten Freund in den Hals sticht.

Kirchheim/Stuttgart. Dicke Freundschaft zwischen zwei jungen Männern, man redet über Homosexualität. Ob man es ausprobiert, bleibt offen. Die beiden, Beschuldigter und Opfer, lernen sich durch das gemeinsame Hobby Softair-Schießen vor gut zwei Jahren kennen. Es kommt in der Folgezeit zu einer sehr intensiven Freundschaft. Dann gibt es die Nacht vom 22. auf den 23. April. Die Anklageschrift gegen den 19-Jährigen ist deutlich: Gegen 4.20 Uhr verlassen sie ein Lokal in der Kirchheimer Alleenstraße und streiten sich zunächst verbal. Dann soll der Beschuldigte plötzlich ein Einhandmesser aus seiner Tasche gezogen und damit heimtückisch zwei Mal in den Hals des ahnungslos neben ihm laufenden 20-Jährigen eingestochen haben. Dabei, so der Vorwurf weiter, habe er den Tod des Freundes billigend in Kauf genommen. Die Anklage lautet auf ein Verbrechen des versuchten Mordes und gefährliche Körperverletzung. Ohne Anlass habe der 19-Jährige plötzlich zugestochen. Der 20-Jährige erlitt dabei fünf Zentimeter lange und vier Zentimeter tiefe Stichwunden. Die Klinge des Einhandmessers verfehlte die Halsschlagader knapp. Im Krankenhaus wurde er versorgt. Lebensgefahr habe trotz der recht schweren Halsverletzungen nicht bestanden. Eine Passantin, die zufällig das Geschehen beobachtet hatte, alarmierte die Rettungskräfte, während der Angeklagte zunächst das Weite suchte. Er wurde am Tag darauf in seiner Wohnung in Wernau festgenommen.

Im Gerichtssaal der dritten Großen Jugendkammer am Stuttgarter Landgericht sitzen die beiden jungen Männer sich jetzt gegenüber; das Opfer zusammen mit seinem Anwalt als Nebenkläger. Neben einer Bestrafung fordert er auch noch eine Schmerzensgeldzahlung des Angeklagten. Der Angeklagte selbst kann sich den eigentlichen Grund der beiden Messerstiche heute nicht mehr genau erklären. Man habe ein inniges Freundschaftsverhältnis gehabt, das aber einige Wochen vor der Tat einen Riss bekommen hat. Man habe sich per Mail-Nachrichten getrennt, dann wieder zueinandergefunden. Mit im Spiel soll ein dritter Mann gewesen sein.

Am Abend vor der Tat trafen sich die beiden Freunde in dem Kirchheimer Lokal zur Aussprache. Sie haben auch Alkohol getrunken, der Angeklagte berichtet von fünf Bieren und einigen Schnäpsen. Die Strafverfolgungsbehörden gehen von einem mittleren Trunkenheitsgrad aus. Der Angeklagte berichtet, beide hätten nach dem Verlassen der Gaststätte eine schlechte Stimmung gehabt und sich noch rund vier Stunden unterhalten. Der 20-Jährige habe die Freundschaft erhalten wollen, er jedoch nicht. Schließlich habe sich bei ihm Wut und Enttäuschung breit gemacht. Gegen 4.20 Uhr seien sie dann nebeneinander auf der Straße gegangen, er links, das Opfer rechts. Der 19-Jährige erinnert sich an einen zweimaligen „Stoß“.

„Warum?“, wollen die Richter wissen. Der Angeklagte sagt aus, er habe sich gewundert und wisse nicht genau, weshalb er zugestochen hat. Am Richtertisch werden Fotos des Einhandmessers begutachtet. Das Messer ist eine spezielle Taschenmesser-Form, die mittels einer an der Klinge angebrachten Öffnungshilfe einhändig geöffnet und je nach Verschlussmechanismus auch einhändig wieder geschlossen werden kann. Der Angeklagte gibt zu, dass er das Messer in der Tasche mit sich geführt hatte.

Das Gericht hat zur Aufklärung der Tathintergründe drei Verhandlungstage angesetzt. Ein psychiatrischer Gutachter soll zudem herausfinden, in welchem Zustand sich der Angeklagte zur Tatzeit war und wie sich dessen Alkoholisierung in seinem Hemmungsvermögen ausgewirkt hat. Am 22. September soll ein Urteil gefällt werden. Bleibt es bei der Feststellung des versuchten Mords, droht ihm eine Jugendstrafe bis zu zehn Jahren.