Kirchheim

Zwischen Ratlosigkeit und Existenzangst

Gastronomie Wirte in Kirchheim reagieren ganz unterschiedlich auf die Krise: mit Durchhalteparolen, Kreativität oder Kompromisslosigkeit. Seit gestern muss sich jeder Gast registrieren lassen. Von Bernd Köble

Gestern Mittag auf dem Marktplatz: Im Außenbereich von Gaststätten war die Coronakrise gestern erst auf den zweiten Blick sichtb
Gestern Mittag auf dem Marktplatz: Im Außenbereich von Gaststätten war die Coronakrise gestern erst auf den zweiten Blick sichtbar. Das könnte sich in den kommenden Tagen ändern. Seit gestern muss jeder Gast Name, Adresse und Telefonnummer hinterlassen, die von der Stadtverwaltung gesammelt werden. Foto: Markus Brändli

Hin und weg ist zurzeit keiner angesichts des galoppierenden Verlusts dessen, was man im Alltag normal nennt. „Hin und Weck“ dagegen soll zeigen: Wir lassen uns nicht unterkriegen. Boeuf Bourguignon, oder wer‘s bodenständiger mag, Linseneintopf im Weckglas - zum Abholen und garantiert keimfrei. Im „Waldhorn“ am Marktplatz versucht man der Coronakrise mit Kreativität zu begegnen. Waldhorn-Betreiber Robert Ruthenberg hat sein Lachen an diesem sonnenverwöhnten Montag noch nicht verloren. Viele seiner Gäste ziehen den angerichteten Teller dem Weckglas noch vor. Etwa die Hälfte der Tische sind um die Mittagszeit besetzt. Im Freien wohlgemerkt. Drinnen herrscht gähnende Leere. An der Sonne allein liegt es nicht. „Draußen fühlen sich die Leute noch sicher“, glaubt der Gastwirt und Hotelier. Im Hotel nebenan sind ganze zwei der 16 Zimmer belegt.

Ruthenberg will trotzdem positiv denken, doch das fällt schwer in diesen Tagen. 70 Prozent seiner Mitarbeiter sind fest angestellt. Er hat bereits Kurzarbeit angemeldet - für alle. Viele trifft das hart. Der Koch ist alleinerziehender Vater, für die meisten der Servicekräfte zählt am Monatsende jeder Euro. Das gilt im Moment allerdings auch für den Chef. Ein Überbrückungskredit bei der Bank, damit beschäftigt auch er sich längst. „Das Wochenende lief noch einigermaßen normal“, sagt Ruthenberg. Inzwischen liege die Auslas­tung bei unter 30 Prozent. „Wir sind im freien Fall“, sagt er.

Noch härter trifft es im Moment Alberto Gabos. Der Inhaber des „Fass“ in der Dettinger Straße stammt aus dem Val di Non südwestlich von Bozen, wo zurzeit Ausgangssperren gelten. Daher weiß er: Es könnte auch hierzulande noch weit schlimmer kommen. Sein zweites Standbein, das „Incanto“ beim Kornhaus, ist nach einem Brand auf unbestimmte Zeit geschlossen. Um das Personal weiter beschäftigen zu können, hat er sich mit dem Golfclub in Ohmden geeinigt, das neu erbaute Klubhaus dort zu bewirten. Am 1. April hätte es losgehen sollen. Jetzt sagt er: „Ich weiß nicht, ob ich das im Moment machen kann.“ Schließlich steht auch das „Fass“, trotz hoher Zahl an Stammgästen, inzwischen zur Hälfte leer. „Wir haben Krise mal drei“, sagt Gabos. „Als das Incanto brannte, habe ich gesagt, wir kämpfen, weil ich das mein Leben lang gemacht habe. Aber das hier hatte keiner auf dem Zettel.“ Das Telefon steht seit dem Wochenende nicht mehr still. Alle Vorbestellungen werden nach und nach abgesagt, bis hin zu Kommunions- und Konfirmationsfeiern, die erst im Mai stattfinden sollen.

Abwarten und hoffen, so denken die meisten. Vor allem für Hotelbetreiber ist der März einer der wichtigsten Monate im Jahr, weil dann viele Betriebsseminare und Messen stattfinden, die nun alle abgesagt sind. Für das „Rad“ in der Dreikönigstraße heißt das: Bis zu 60 Prozent Umsatz, der fehlt. Die 15 fest angestellten Mitarbeiter sind teilweise 20 Jahre und länger dabei. „Ich hoffe, wir kriegen das hin“, sagt Chefin Kathrin Hepperle, die froh ist, dass die hauseigene Metzgerei läuft und die Krise etwas dämpfen kann.

Dazu beitragen könnte auch das Frühlingswetter in dieser Woche. Wer draußen bewirten kann, wie im „Wachthaus“ oder dem „Adoro“ am Rossmarkt, kann sich glücklich schätzen. Oder auch nicht: Er habe am Monatsbeginn 6 000 Euro allein für den Terrassenbetrieb an die Stadt überwiesen, sagt Mario Adornetto, Inhaber des Adoro. „Hätte ich da gewusst, was ich heute weiß, hätte ich das sein lassen“, meint er. Zwar sind etliche der Tische draußen belegt, doch der Schein der Normalität trügt: „Wir machen um 15 Uhr zu“, sagt Adornetto, obwohl normalerweise bis 19 Uhr geöffnet sei.

Seine Tür vorerst gar nicht mehr auf macht Michael Holz. Kirchheims jahrzehntelanger Szene-Wirt hat mit dem „3K“ erst vor Wochen neu eröffnet. Eine „Herzensangelegenheit“, in die er viel Zeit und Geld für ein neues Konzept investiert hat. Seit Sonntag ist die Burger-Bar mit Live-Bühne komplett dicht - bis auf weiteres. Aus Rücksicht auf Mitarbeiter und Gäste, wie Holz betont. „Viele Leute verhalten sich, als ob nichts wäre“, meint er mit Blick auf überfüllte Straßencafés am Sonntag. Die nächsten Wochen konsequent sein, ergebe mehr Sinn. „Mit den Hilfen, die der Staat bietet, schafft man das auch.“

Gästelisten sorgen für Verwirrung

In Speiselokalen in Kirchheim müssen sich Gäste seit Montag registrieren, bevor sie bewirtet werden. Jeder Besucher muss sich mit Name, Adresse, Geburtsdatum und Telefonnummer in eine Liste eintragen, die Gastwirte täglich ans Ordnungsamt der Stadt zu schicken haben. Wozu das Ganze? Um Personen ausfindig machen zu können, die Kontakt mit Infizierten hatten.

Gestern sorgte die sogenannte Allgemeinverfügung der Stadt zunächst für allgemeine Verwirrung. Rund die Hälfte der Gastronomen in der Innenstadt hatten schlicht nichts davon mitbekommen. Für andere stellte sich die Frage: Wie sieht eine solche Liste aus? Das Spektrum gestern reichte vom weißen Blatt Papier über selbst bedruckte Tabellen bis zum Dateiformat.

„Ein Übergangstag“, sagt Robert Berndt, Pressesprecher der Stadt. „Das wussten wir.“ Am späten Nachmittag verschickte die Stadt per Mail ein erklärendes Schreiben an alle Gastwirte nebst angehängter Excel-Datei. Heute sind zunächst die Justitiare am Werk. Was ist, sollten Gäste sich weigern, persönliche Angaben zu machen, ist zur Stunde nämlich noch nicht geklärt.

Pascal Bader hat sich bereits am Sonntag in einer Videobotschaft auf Facebook an Kirchheimer Bürger gewandt. Es gelte, alle sozialen Kontakte auf das Notwendigste zu beschränken, teilte Kirchheims Oberbürgermeister mit. Speiselokale sollen als einzige Gastro-Betriebe vorerst geöffnet bleiben können. Die Stadt hat unter 0 70 21/5 02-3 42 eine Corona-Hotline eingerichtet. bk