Kirchheim

„Zwischen Schwarz und Weiß gibt es viele Graustufen“

Neuerscheinung Steffen Seischab stellt sein Buch „Land um Teck und Neuffen – zwischen Nazis und Kommunisten“ vor. Von Andreas Volz

Fotos: Stadtarchiv Kirchheim
Fotos: Stadtarchiv Kirchheim

Steffen Seischab spricht von „Aufsätzen“, die er unter dem Titel „Land um Teck und Neuffen - zwischen Nazis und Kommunisten“ zusammengefasst hat. Sicher lassen sich die 14 Kapitel auch als einzelne Aufsätze lesen. Aber trotzdem zieht sich ein roter Faden durch das Buch, das zunächst einmal die Frühzeit der nationalsozialistischen Bewegung rund um Kirchheim unter die Lupe nimmt.

Immer wieder tauchen dieselben Namen auf - Walter Olpp, Kreisleiter Wahler, Josef Weixler. Selbst wenn es in den Schlusskapiteln um die Kommunisten geht, ist das kein Bruch mit dem Thema. Schließlich bekämpften sich beide Strömungen von Anfang an. Ab 1933 hatte die NSDAP die Oberhand, bis sich das Blatt 1945 grundlegend wenden sollte.

Fotos: Stadtarchiv Kirchheim
Fotos: Stadtarchiv Kirchheim

Im Gespräch zieht Steffen Seischab folgendes Fazit: „Zwischen Schwarz und Weiß gibt es viele Graustufen.“ Nicht zuletzt heißt eines seiner Kapitel über die Entnazifizierung „Der ,gute‘ und der ,böse‘ Nazi“. Aber auch da ist es nicht immer objektiv belegbar, dass jemand zu den Guten - oder zumindest zu den Besseren - unter den Bösen zählt. Interessant ist nämlich der Untertitel: „Die öffentliche Meinung im Umgang mit NS-Funktionären nach 1945“.

Drittes Reich und Besatzung: Ansicht des Umzuges in Kirchheim am 1. Mai 1933. -Lehrer und Sch?ler-Maschinengewehr-K?nigin Luise
Fotos: Stadtarchiv Kirchheim

Steffen Seischab zählt Beispiele dafür auf, dass es da ähnlich zuging wie nach dem biblischen Sündenfall: Der eine schiebt die Schuld auf den anderen, um selbst besser dazustehen. Das galt für einzelne, aber auch für Gruppen, bis hin zu Ortsgemeinschaften: „In den Spruchkammerverfahren nach 1945 haben die Lenninger mit dem Finger nach Owen gezeigt.“ Und die Owener? „Die haben einfach kollektiv geschwiegen.“ Die „sensationelle Blütezeit der Nationalsozialisten in Owen“ sei nie richtig aufgearbeitet worden. Heute wiederum sei die Aktenlage viel zu schlecht, um daran etwas ändern. Somit kann auch der Historiker nur andeuten: „Dabei wäre so viel zu berichten gewesen.“

Drittes Reich und Besatzung: Aufnahme von der Sonnwendfeier der Nationalsozialisten auf dem H?rnle, 23.06.1923Original: Dr, Rolf
Fotos: Stadtarchiv Kirchheim

Urteile der Spruchkammer

Besser ist die Aktenlage bei drei zentralen Personen aus Unterlenningen: SA-Funktionär und Erster Beigeordneter Richard Reinhardt, NSDAP-Ortsgruppenleiter Willy Hinneberg sowie Bürgermeister Hans Gelchsheimer. Steffen Seischab kommt zu dem Ergebnis: „Jedem dieser drei wurde bei der Entnazifizierung vor der Kirchheimer Spruchkammer in der kollektiven Erinnerung des Orts eine bestimmte Rolle zugeschrieben, die als Ergebnis der Erfahrungen der Dorfgemeinschaft mit ihnen zu verstehen ist.“

So war Reinhardt „das böse Gesicht der NS-Vergangenheit“.Er wurde denn auch von der Spruchkammer als Aktivist eingestuft. Hinneberg war offiziell nur Mitläufer, weil er als „guter“ Nazi „viele Sympathisanten besaß und deshalb eine Fülle von Entlastungszeugnissen vorweisen konnte“. Und Gelchsheimer war zunächst Minderbelasteter, den man später zum Mitläufer herabstufte. Über dieses Verfahren schreibt Steffen Seischab: „Die Zeugnisse aus dem Dorf zu seiner Person fielen großteils positiv, aber deutlich distanzierter als bei Hinneberg aus.“

In den Verfahren verstrickten sich aber nicht nur einstige Nationalsozialisten. Selbst der Lehrer Theodor Schönleber, der fast zehn Jahre in Gefängnissen und Konzentrationslagern verbracht hatte, tat sich als Nichtjurist schwer mit seiner Rolle als öffentlicher Kläger der Kirchheimer Spruchkammer. Im Oktober 1947 gab er diesen Posten auf, nachdem er sich immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt sah, nicht genügend professionelle Distanz zu wahren.

Drittes Reich und Besatzung, Kirchheim: Ritterkreuztr?ger Kreisleiter Eugen Wahler
Fotos: Stadtarchiv Kirchheim

Außerdem gibt es Fälle, in denen selbst ein überzeugter Nazi der ersten Stunde wie der Kirchheimer Walter Olpp sich nicht wie ein sturer Parteifunktionär verhielt. So bekämpfte er den NSDAP-Kreisleiter Eugen Wahler, den er bei der Parteileitung als Alkoholiker und Weiberheld anschwärzte. Selbst den Kirchheimer Kommunisten versprach Olpp 1933, sie aus der Haft freizubekommen - „gegen die Versicherung, sich in Zukunft jeglicher politischer Aktivität zu enthalten“. Alle unterschrieben, bis auf einen: Theodor Schönleber. So schließt sich also auch hier der große Kreis, den Steffen Seischab in seinem Buch beschreibt.

Foto: pr

Buchvorstellung im Kirchheimer Spitalkeller

Weitere Kapitel befassen sich mit dem Streit des Kirchheimers Josef Weixler mit der NSDAP, in dem es um offene Rechnungen für den Druck von NS-nahen Zeitungen ging, mit der „Arisierung“ jüdischer Betriebe - die sich für Kolb & Schüle in einem speziellen Fall als großes Verlustgeschäft herausstellen sollte - oder auch mit der Außenstelle des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof, die in Schlattstall geplant war. Diese Anlage, in der die Kirchheimer Firma Helfferich & Weise einen Munitionszulieferbetrieb etablieren wollte, wurde vor Kriegsende nicht mehr fertig.

Am Donnerstag, 26. Oktober, stellt Steffen Seischab sein Buch bei einem Volkshochschul-Vortrag im Kirchheimer Spitalkeller vor. Beginn ist um 19.30 Uhr. Im Anschluss soll das neue Werk erstmals verkauft werden.vol