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20-Jährige arbeitet an einem Baukasten für eine bessere Welt

Interview Sie will ihre Heimatstadt klimaneutral machen. Clara Schweizer, die mit ihrer Klima-Taskforce in Nürtingen ein bundesweit beachtetes Projekt vorantreibt, gilt vielen als Hoffnungszeichen, dass Politik eine Zukunft hat. Von Bernd Köble

Hinter dem Namen steckt hier ziemlich viel Programm: Future Box heißt der loftähnliche Raum der Nürtinger Hochschule für Technik und Wirtschaft, der zugleich Arbeitsstätte und Ideen-Werkstatt ist. Bis gerade eben saß hier eine Arbeitsgruppe der Nürtinger Klima-Taskforce beisammen. Jetzt empfängt uns ihre Gründerin Clara Schweizer zum Interview. Die 20-Jährige hat mit ihrem Herzensprojekt nicht nur viele in ihrer Heimatstadt überzeugt, sondern auch die politischen Talent-Scouts des Berliner Start-ups „JoinPolitics,“  das die Studentin unter bundesweit 139 Mitbewerbern ausgesucht hat, um sie zu fördern. Sie wirkt konzentriert, aber gelöst. Die Arbeit macht Fortschritte. Auch deshalb, weil sie immer mehr Menschen dafür begeis­tern kann.

Frau Schweizer, seit Gründung der Klima-Taskforce sind vier Monate vergangen. Wie läuft’s?

Clara Schweizer: Gut läuft’s. Wir wollen die Prozesse im kommunalen Klimaschutz beschleunigen. Wenn man sich die Klimaneutralitätsziele etwa im Land bis 2040 anschaut, dann ist da noch ganz schön viel Luft nach oben. Das heißt, wir müssen auch als Kommunen schneller vorankommen. Deshalb brauchen wir mehr Zusammenarbeit zwischen den lokalen AkteurInnen. Das heißt aus Stadtverwaltung, Gemeinderat, Wissenschaft, aber auch aus Unternehmen. Wir sind inzwischen ein gemeinnütziger Verein. Seit Januar geht es nun in den Arbeitsgruppen mit jeweils circa 15 Leuten um die Ausarbeitung ganz konkreter Projekte. Wir wollen eine Art Baukasten erstellen, der dann auch auf andere Kommunen übertragbar ist. Dadurch, dass sich bei uns sehr viele verschiedene Menschen aus der Zivilgesellschaft heraus engagieren, steckt sehr viel Kraft dahinter. Bei unserer Kick-off-Veranstaltung ganz zu Beginn waren auch viele Menschen da, die sich bisher nicht engagiert haben.

Zu Beginn dürfte es vor allem um Projekte gehen, die schnell umsetzbar sind.

In unserer Arbeitsgruppe Energie und Wärme arbeiten wir gerade an der Sammelbestellung von Balkon-Solaranlagen, die auch für MieterInnen interessant sein können. Mittelfristig wollen wir das auch für Dach-PV-Anlagen organisieren. Das hat einfach den Vorteil, dass man weniger Bürokratie und einen günstigeren Preis hinbekommen kann.

Es geht vermutlich auch darum, nicht Dinge zu tun, die andere schon machen?

Deshalb wollen wir mit allen kommunalen Klimaschutzakteuren zusammenarbeiten. Nürtingen erstellt gerade ja ein Klimaschutzkonzept. Ich bin dort Mitglied im Klimabeirat. Wir hatten beispielsweise im Roßdorf eine Veranstaltung mit dem Bürgerausschuss, mit den Stadtwerken, dem Energie Team Süd, der Nürtinger Liste/Grüne und der Stadtverwaltung. Da kommen ganz viele verschiedene Akteure zusammen und leisten ihren Beitrag.

Für Sie ist die Kommune der wichtigste Ort für wirksamen Klimaschutz. Warum?

Die Kommune hat da einfach ein wahnsinnig großes Potenzial. Hier gehen Klimaschutzthemen die Menschen ganz direkt an, und hier müssen die Gesetzesvorgaben von Bund und Land umgesetzt werden. Gleichzeitig kennt man sich untereinander und fühlt sich verbunden. Ich beispielsweise verspüre den Willen, meine Heimatstadt in eine lebenswerte, grüne Stadt zu verwandeln. Die Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort haben ein enor­mes Potenzial. Klimaschutz muss ganz klar hier beginnen.

Deutschland hat 2022 seine eigenen Klima­ziele zum dritten Mal in Folge krachend verfehlt. Seit knapp einem Jahr herrscht zudem Krieg in Europa, der ein „Weiter so“ in der Energiepolitik plötzlich wieder vertretbar erscheinen lässt. Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?

Dem würde ich klar widersprechen. Ein „Weiter so“ geht nicht mehr und rechnet sich auch nicht. Erneuerbare Energien sind nicht nur gut für den Klimaschutz, sie sind auch Energien, die unabhängig machen von autokratischen Systemen. Es geht um das Bewusstsein, dass es beim Klimawandel um die größte Krise in der Menschheitsgeschichte geht. Mit unserem Handeln hier sind wir verantwortlich für globale soziale Gerechtigkeit und für die Klimafolgen, die im globalen Süden schon längst deutlich spürbar sind.

Sie haben sich auf einer Reise nach ­Gambia vergangenes Jahr mit dortigen Bauern getroffen. Was haben ausgetrocknete Ackerböden in Westafrika mit dem Nürtinger Nahverkehr zu tun?

Sehr viel. Für mich war das ein ganz entscheidender Moment, als ich dort auf einem völlig ausgetrockneten Reisfeld stand. Was das ganz konkret für die Menschen bedeutet, wenn ein steigender Meeresspiegel Böden versalzt und Dürren und Starkregen Ernten vernichten, habe ich zum ersten Mal mit eigenen Augen gesehen. Das verursachen wir. Jedes Zehntel Grad, das auf unsere Rechnung geht, hat fatale Auswirkungen für die Menschen im globalen Süden. Diesen Zusammenhang zu begreifen, ist ganz wichtig.

Wie kann man Menschen bewusst machen, dass Klimaschutz nicht nur sozial fair und überlebensnotwendig ist, sondern auch mehr Lebensqualität bedeutet?

Ein ganz entscheidender Punkt ist Bildung und Aufklärung. Das wollen wir auch mit der Klima-Taskforce erreichen. Den Menschen klarmachen, dass weniger Auto nicht nur Verzicht bedeutet, sondern auch einen attraktiveren ÖPNV, tolle Radwege, die zu benutzen Spaß macht. Mit dem Gefühl, dass bei uns vor Ort sich etwas verändert, geht auch Motivation einher. Wir müssen die Mehrheit mitnehmen und dabei auf einen Schneeballeffekt setzen.

Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck hat den Verkehrssektor als „Sorgenkind“ bezeichnet, weil dort die Emissionen seit Jahren ungebremst steigen. Trotzdem ist aus einem angekündigten Mobilitätsgipfel vor wenigen Wochen ein reiner Autogipfel geworden. Was sagt Ihnen das?

Ich habe das Gefühl, dass bei sehr vielen Menschen angekommen ist, dass diese Krise ernst zu nehmen ist. Daraus folgt leider noch nicht der nächste Schritt, der bedeutet, wir reden nicht nur, sondern wir handeln auch entsprechend. Das sieht man besonders gut im Verkehrssektor, wo das 14-Fache an Emissionen reduziert werden müsste, um die eigenen Ziele zu erreichen. Das ist gewaltig.

Wirksame Klimapolitik, betonen Sie immer wieder, muss vor allem dreierlei sein: innovativ, pragmatisch und schnell. Leider sagt die deutsche Bürokratie etwas ganz anderes.

Das ist leider so. Deswegen müssen wir jetzt schnell vom Reden ins Handeln kommen. Die Erkenntnis, dass es nicht sieben Jahre dauern kann, bis ein Windrad steht, hat sich inzwischen ja durchgesetzt. In den Kommunen gilt es deshalb, sich zunächst darauf zu konzentrieren, was wir jetzt schon tun können. Etwa dafür zu sorgen, dass Menschen PV-Anlagen aufs Dach bekommen.

Und das möglichst ohne dafür ein betriebswirtschaftliches Studium zu benötigen.

Ganz genau.

Sie sind Mitglied bei den Grünen. Wie zufrieden sind Sie mit grüner Politik in Stadt und Landkreis?

Ich glaube, es ist wahnsinnig wichtig, dass wir eine starke grüne Parteipolitik haben und Menschen in den Parlamenten, die für Klimaschutz einstehen. Gleichzeitig, wenn man sich die Zahlen anschaut, muss es viel schneller gehen. Unsere Aufgabe mit der Klima-Taskforce sehen wir auch darin, Druck auf die Politik auszuüben. Die Grünen leisten gute Arbeit, aber nicht schnell und lösungsorientiert genug, um die Pariser Klimaziele einhalten zu können.

Lüzerath hat grüne Klimapolitik und Protestbewegung zuletzt weiter entfremdet. Sind Sie nach wie vor in der richtigen Partei?

Ja. Weil die Grünen die einzige Partei sind, die sich entschlossen für Klimaschutz einsetzt, und weil man dies auch mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit und wie wir nachhaltig wirtschaften können, verbinden muss. Deshalb bin ich weiterhin überzeugtes Mitglied bei den Grünen. Auf der anderen Seite muss man als Zivilgesellschaft auch konsequente Politik einfordern. Realpolitik auf der einen Seite und das, was notwendig wäre, ist zweifellos ein Dilemma.

Wie wichtig ist ziviler Ungehorsam?

Es gibt einfach verschiedene Protestformen, und ich meine, wir brauchen auf allen Ebenen Menschen, die für die Sache kämpfen. Ich habe mich für den Weg entschieden, kommunalen Klimaschutz umzusetzen und jetzt anzupacken. Das ist mein Weg, den ich gehen will.

Was führt also schneller ans Ziel: Sitzblockaden oder politische Basisarbeit?

Die Klima-Taskforce.

Wie politisch ist Ihre Generation?

Ich finde es schwierig, für eine ganze Generation zu reden. Aber ich sehe sehr viele Menschen in meinem Alter, die sehr politisch sind. Einfach, weil sie sehen, dass ihre Zukunft aufs Spiel gesetzt wird. Dass Klimaschutz für sie das zentrale Thema ist, hat nicht nur die letzte Bundestagswahl gezeigt, sondern auch die große Zahl derer, die mit Fridays vor Future auf die Straße gegangen sind. Wir sind eine Generation, die eine lebenswerte Welt einfordert, in der auch unsere Enkel noch leben können. Ich glaube aber nicht, dass das nur ein Anliegen unserer, sondern aller Generationen ist.

Sie könnten sich vorstellen, die Politik zum Beruf zu machen. Wo sehen Sie sich in zehn oder 15 Jahren?

Ich bin keine Hellseherin. Für mich steht nur fest, dass ich politisch arbeiten will. Ich weiß aber noch nicht, ob das in einem Verein, einer NGO (einer Nichtregierungsorganisation, Anm. d. Red.) oder in einer Partei im Parlament ist. Fest steht nur, dass ich für eine klimagerechtere Welt, für ein klimagerechteres Nürtingen kämpfen will.

Wenn Sie da manch parlamentarische Biografie betrachten, welche Fehler würden Sie gerne vermeiden?

Ich finde, wir sollten eher fehlerfreundlicher werden. Dass man in der Politik offen kommuniziert, wenn etwas schiefgelaufen ist, halte ich für ebenso wichtig wie dass man seinen eigenen Werten treu bleibt. Das würde ich gerne für mich mitnehmen. Nicht nur in der Politik, sondern generell im Leben.

Wenn Sie mit 20 in die Zukunft schauen, was macht Ihnen Mut?

Wenn ich all die vielen coolen Leute sehe, die auf verschiedenen Ebenen für mehr Klimagerechtigkeit kämpfen. Das ist für mich Antrieb. Es ist ganz wichtig, dass wir die Hoffnung nicht verlieren. In einer Zeit voller Krisen kann man schnell resignieren und sich ohnmächtig fühlen. Das fühl ich mich auch an manchen Tagen. Wenn ich mit den Leuten hier in der Klima-Taskforce arbeite, dann ist ganz viel Hoffnung da.

Früheinsteigerin in die Politik

Clara Schweizer ist 20 Jahre alt und stammt aus Nürtingen. Sie studiert Politikwissenschaften und Öffentliches Recht an der Uni Tübingen. Seit ihrem 13. Lebensjahr macht sie sich für Klimaschutz und kommunalpolitische Themen stark. Mit 14 Jahren wurde sie zur Vorsitzenden im Jugendgemeinderat ihrer Heimatstadt Nürtingen gewählt. Drei Jahre später war sie Sprecherin des Initiativkreises für Jugendbeteiligung im Landkreis Esslingen. Mit Unterstützung des Berliner Start-ups "JoinPolitics“, das politische Talente bei Projekten finanziell unterstützt, arbeitet sie seit September mit der von ihr gegründeten Klima-Taskforce Nürtingen daran, die Stadt schnellstmöglich klimaneutral zu machen. Clara Schweizer engagiert sich bei bei Fridays for Future und spielt mit dem Gedanken, bei den nächsten Kommunalwahlen für den Nürtinger Gemeinderat zu kandidieren. Seit August vergangenen Jahres ist sie Vorsitzende der Nürtinger Grünen. bk