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Adventskonzert voller Doppeldeutigkeiten

Chor der Kirchheimer Martinskirche verarbeitet Terror und Flüchtlingskrise musikalisch

Ein romantisches Adventskonzert bekamen in der Kirchheimer Martinskirche die Gäste zu hören. Foto: Genio Silviani
Ein romantisches Adventskonzert bekamen in der Kirchheimer Martinskirche die Gäste zu hören. Foto: Genio Silviani

Kirchheim. Die vorweihnachtliche Zeit ist eine erwartungsfrohe Zeit. Insbesondere Musik muss sich den Anspruch gefallen lassen, alle Jahre wieder mit sanftem Dreiertakt die an Idylle gewöhnten Herzen zu erwärmen.

Dabei ist die gegenwärtige Zeit alles andere als idyllisch und die weihnachtliche Zusage „Friede auf Erden“ schmerzt angesichts aktueller Terror-Nachrichten. Bezirkskantor Ralf Sach wählte für das traditionelle Adventskonzert seines Chores an der Martinskirche mit sicherer Hand ein Programm aus, das nur vordergründig vorweihnachtliche Stimmung versprach. Schumann, 1848 durch die gewaltsamen Wirren der Revolution selbst Flüchtling geworden, kam in Berührung mit Friedrich Rückerts „Adventslied“, einer poetisch ausgemalten Friedensbitte. Wie im Wahn komponierte er dazu eine Musik, die er eher mit einem ideellen Advent in Verbindung gebracht sehen wollte. Die schlichte Eingangsmelodie, von Christine Euchenhofer mit klarem Sopran vorgetragen, ist ein Sinnbild der sich selbst entäußernden Demut des Gottessohns, begleitet von den Töchtern Jerusalems, denen die Frauenstimmen des Chores an der Martinskirche sensibel ihre Stimmen gaben. Und weil nun mal Krieg Sache der Männer ist, lässt Schumann die Wirklichkeitsbeschreibung von Krieg und Zerstörung mit martialischem Orchestergetöse von einem schneidigen Männerchor darstellen. Aufpeitschend trieb Ralf Sach die stacheligen Punktierungen des hellwachen Männer-Registers über die Schlachtfelder dieser Welt, und nur wer genau zuhörte, merkte, dass Schumann mit dem kurzen Aufblitzen seines holpernden „Soldatenmarschs“ eigentlich das Gegenteil darstellte: Genauso agiert der himmlische Friedefürst eben nicht.

Die Aufführung von Schumanns Adventslied kam einer hoch aktuellen Inszenierung nah. Dies lag auch zum großen Teil daran, dass alle Beteiligten Musik im wahrsten Sinne des Wortes darstellten. Besonders eindrücklich war dies in der choralhaften Bitte „O Herr, von großer Huld und Treue“ zu spüren, mit der Schumanns Adventslied eine neue Wendung bekommt. Die sich anschließenden chromatischen Fortschreitungen, mit denen Friedensvisionen als allenthalben bedroht gezeichnet werden, waren wiederum eine konzentrierte Fleißarbeit, die dem Chor an der Martinskirche stellenweise durchaus anzumerken war, bevor ein strahlendes Unisono mit der Bitte um das Licht der Wahrheit in Schumanns „Nachtlied“ überleitete. Friedrich Hebbel, Lieblingsautor des Komponisten, entwarf hier ein typisch romantisches Stimmungsbild, in dem die Nacht immer als unbestimmt, Angst einflößend und Geborgenheit spendend zugleich veranschaulicht wird. Auch hier wieder ein begeisterndes Lob der Programmgestaltung, weil dieser Satz für Chor und Orchester wie ein Intermezzo zum Hauptteil des Abends überleitete: der „Geburt des Herrn“ von Felix Draeseke. Deutlich schmaler besetzt, sang ein glockenreiner Kammerchor zum ersten Mal in dieser Zusammensetzung diese sich bis zu acht Stimmen entfaltende Chormusik, bei der die Gesangsstimmen das Tongeflecht des Orchesters zu kommentieren hatten. Einer beeindruckend eingespielten Capella Martini wurde so ein chorischer Glanz zugefügt, der insbesondere in den suggestiven „Schlaf!“-Aufforderungen tatsächlich vorweihnachtlich-engelsgleich erklang und eine Bühne für die Erscheinung des Engels Gabriel im ersten Satz des Draeseke-Oratoriums bereitete.

Auch die „Geburt des Herrn“ ist keine eigentliche Weihnachtsmusik, sondern als geistliches Pedant zu Wagners „Ring“ konzipiert. Es ist schwere Musik, und den Zuhörern in der Martinskirche wurde durchaus einiges abverlangt. Harmonisch unbestimmt und szenisch hauptsächlich von den Zwischenspielen des Orchesters getragen, entwickelt Draeseke die Handlung ausschließlich durch wörtliche Rede, wobei den Protagonisten prophetische Weissagungen anvertraut werden. Der Auftritt der Weisen etwa gerät zu einem inbrünstigen Gebet um den Frieden in der Welt. Und die von Burkhard Seizer innigst bekleidete Rolle des greisen Simeon trug ganz eindeutig die ordnenden Züge des Hans Sachs aus Wagners Meistersinger. Dennoch kommt es zur Katastrophe des Kindermords von Bethlehem.

Es ist unglaublich, dass die Musizierenden sich am Tag vor der Aufführung zum ersten Mal gesehen haben. Sie haben einen zu Herzen gehenden Blick hinter die Kulissen des vordergründigen Weihnachtsgeklingels geboten, der trotz aller Wirrnisse mit dem tröstlichen Hinweis auf den Schutz der Engel schloss.