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Ärzte wollen ein Zeichen setzen

Vergütung Wegen eines Protests stoppen viele HNO-Ärzte ambulante Operationen bei Kindern.

Region. Seit Monaten bekommt Tanja Schweizers vierjähriger Sohn kaum Luft. Als sie einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt aufsucht, diagnostiziert dieser Polypen und verordnet zunächst Kortison.

Doch die Therapie schlägt nicht an, die Polypen haben sich durch die Behandlung nicht verkleinert. Da sich die Probleme auch auf die Ohren auswirken können, untersucht der Arzt diese ebenfalls. Das Ergebnis: Schweizers Sohn hört nur noch zu 60 Prozent. Ihr Sohn brauche schnell eine Operation, die Polypen müssten raus. Normalerweise ist dies ein Routineeingriff, der nur wenige Minuten dauert.

Doch Schweizer verzweifelt bei der Suche nach einem operierenden HNO-Arzt. Zahlreiche Ärzte weisen sie ab. Auch ins Krankenhaus kann sie nicht gehen „Als Notfall wird man dort erst eingestuft, wenn Blut aus der Nase fließt“, sagt Schweizer. Ein Arzt in Bad Urach bietet ihr einen Termin im März an. Doch das dauert ihr zu lange. Nur diesen einen habe er noch frei, sagt er. Danach stelle er seine ambulanten Polypen-Operationen ein und schließe sich der Protest-Bewegung an.

Dieser Protest ist die jüngste Auswirkung eines monatelangen Streits. Zankapfel ist das Honorar für kleinere ambulante Operationen. Bisher bekamen Ärzte für solche Eingriffe 111 Euro vergütet. Seit dem 1. Januar sind es 107 Euro. Aus Protest stellten bundesweit bereits 85 Prozent der HNO-Ärzte diese Operationen ein. Infolgedessen wüteten sowohl der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) als auch der Bundesgesundheitsminister. Es sei unethisch und inakzeptabel, Kinder leiden zu lassen, um höhere Honorare zu erpressen, so Karl Lauterbach. Florian Lanz, Verbandssprecher der GKV, sagte gegenüber der Deutschen Presseagentur: „Sie nehmen Kinder in Geiselhaft, um mehr Geld aus dem Portemonnaie der Beitragszahler zu bekommen“.

Keine Kostendeckung

Derartige Schuldzuweisungen seien grober Unfug, sagt Mark Stenzel, selbst HNO-Arzt. „Im Gegenteil, wir wollen gerne für die Kinder da sein“, so Stenzel. Das Problem sei: Wenn sich niemand gegen die geringen Honorare für die kleinen Eingriffe wehre, gebe es sie bald gar nicht mehr. Schon mit dem alten Vergütungssatz habe sich eine Polypen-OP nicht gerechnet. Nun werde die Lage noch schlimmer. „Ein junger Kollege, der sich neu niederlässt, wird sich zwei Mal überlegen, ob er auch operiert“, sagt Stenzel. OPs seien anstrengend. Komme nun noch dazu, dass der Kollege nicht nur wenig daran verdiene, sondern sogar Verlust mache, sei die Entscheidung einfach.

Bereits seit vielen Jahren geben zahlreiche etablierte HNO-Ärzte ihre OP-Lizenzen wegen der schlechten Vergütung zurück. Die langen Wartelisten seien eine Auswirkung dieser Entwicklung, so Stenzel. Dass der Grund des Protests „Gier“ sei, sei ein Trugschluss. „Niemand will mit ambulanten Kinderoperationen reich werden“, sagt Stenzel: „Es muss nur ungefähr die Kosten decken. Und das ist derzeit nicht der Fall.“ Die wenigsten HNO-Ärzte haben in ihren Praxen Räume, um zu operieren. Meist weichen sie auf nahe Krankenhäuser aus. Dafür müssen die Ärzte zahlen. Hinzu kommen Kosten für Assistenten, Anfahrt und Geräte. „Hinzu kommen natürlich noch Vorgespräch, Nachkontrolle und 24-Stunden-Bereitschaft“, ergänzt Dorothee Bögner. Die HNO-Ärztin betreibt mit Thomas Handschuh und Philipp Doepner das HNO-Zentrum in Kirchheim. Aus den 15 Minuten reine Operationszeit werde so schnell mindestens eine Dreiviertelstunde.

Es gehe nicht um vier Euro weniger, so Doepner, das sei vielmehr der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe. Wie Stenzel sind sich auch Handschuh und sein Team bewusst, dass der Protest in einem schwierigen Spannungsfeld stattfindet. Auf der einen Seite die besorgten Eltern, auf der anderen Seite die Ärzte, die für mehr Operationen kämpfen, doch sich nicht anders zu helfen wissen, als diese einzustellen. „Unser Problem ist, dass wir uns nicht schon vor vier bis fünf Jahren gewehrt haben“, sagt Handschuh.

Sein Kollege Stenzel wünscht sich, dass die betroffenen Eltern sich auf die Seite der Ärzte stellen, denn das Ziel sei am Ende das gleiche. Die schlimmen Fälle operieren Stenzel, Handschuh, Doepner und Bögner trotz des Protestes weiterhin. „Doch nun muss etwas passieren“, sagt Stenzel. Johannes Aigner