Man schrieb den 4. August 1896: Knapp vier Monate zuvor hatten in Athen die ersten olympischen Spiele der Neuzeit stattgefunden und in Deutschland machten die Ideen von Turnvater Jahn die Runde. So verwundert es wenig, dass sich an diesem Sommertag auf Anregung von Carl Eger 25 junge Schlierbacher Männer im Schulhaussaal zusammenfanden und den Turnverein Schlierbach aus der Taufe hoben. Erster Vorstandsvorsitzender wurde der Lehrer Christian Auwärter, sein Bruder August wurde Schriftwart. Noch im selben Monat verabschiedeten die Vereinsmitglieder eine Satzung, deren Paragraf eins lautet: „Der Zweck des Turnvereins ist die Heranbildung leiblich und geistig rüstiger Männer, welche neben der Entwicklung und Kräftigung körperlicher Anlagen einen wackeren deutschen Sinn und Reinheit der Sitten anstreben.“
„Es finden sich leider relativ wenige Aufschriebe aus dieser Zeit“, sagt Jochen Sturm, der aktuelle erste Vorstandsvorsitzende des Vereins. Dennoch sind einige Eckdaten überliefert: Geturnt wurde zunächst im alten Backhaus am alten Farrenstall. 1897 wurde der Turnplatz eingeweiht, 1905 fand das Gauturnfest in Schlierbach statt. Die Vereinsfahne - sie erstrahlt heute frisch restauriert in neuem Glanz - wurde 1908 geweiht. Der erste Weltkrieg jedoch setzte dem Schlierbacher Turnbetrieb ein vorläufiges Ende.
1919 dann der Neubeginn. Praktisch parallel dazu gründete sich 1920 mit dem FC Schlierbach der erste Schlierbacher Fußballverein. Bereits 1924 fusionierten beide Vereine zum heutigen TSV Schlierbach. Fortan wurde also geturnt und gekickt, das Vereinsleben prosperierte. Zum 40-jährigen Jubiläum wurde 1936 der Sportplatz in den Dorfwiesen eingeweiht, ein in den 30er-Jahren angedachter Turnhallenbau wurde aber nicht realisiert. Mit Beginn des zweiten Weltkriegs kam dann auch das Vereinsleben zum Erliegen. Geturnt wurde dann für viele Jahre nicht mehr: Bestimmendes Element im ab 1946 wiederauflebenden Verein war zunächst der Fußball. Erst mit dem Bau der Dorfwiesenhalle 1957 bekam der Turnsport in Schlierbach neue Impulse.
In den Folgejahren entwickelte sich der Verein prächtig. Seit 1972 kann die Fußballabteilung auf der Bergreute einen schönen Rasenplatz bespielen. Und mit der Sporthalle Bergreute kam 2004 eine weitere Sportstätte hinzu und bildet seither zusammen mit der Dorfwiesenhalle und dem Kunstrasenplatz das sportliche Epizentrum Schlierbachs. Tolle Sportstätten, engagierte Vereinsmitglieder, eine breit aufgestellte Jugendarbeit: „Eigentlich hatten wir immer eine gesunde Mitgliederentwicklung“, sagt der Vorsitzende Jochen Sturm. Entsprechend groß wurde auch das 100-Jährige 1996 gefeiert.
Sportlich hat sich in den vergangenen Jahrzehnten viel getan. Nach und nach sind weitere Sportarten ins Vereinsangebot aufgenommen worden. Skiabteilung, Volleyball, Tischtennis, aber auch Kurioses fand seinen Platz: Für ein paar Jahre konnten die Schlierbacher sogar den ostfriesischen Nationalsport Bosseln ausüben. Doch der Verein unterliegt auch Trends: Skiabteilung und Tischtennis wurden wieder aufgelöst, dafür wird jetzt Badminton gespielt. Und die Turnabteilung ist mit dem Angebot Kunstturnen mittlerweile wieder „back to the roots“, sagt Jochen Sturm.
Alles gut also beim TSV Schlierbach? Nicht ganz, wie Sturm einräumt. „Wir spüren die große Konkurrenz durch die Sportstudios.“ Der Trend hin zu Individualsport und Fitnesskursen gehe auch am TSV nicht vorüber, sagt Sturm. „Dementsprechend brauchten wir eine Ergänzung zum klassischen Vereinswesen.“ Diese Ergänzung gibt es seit 2018: Gemeinsam mit den Turn- und Sportvereinen aus Ohmden, Jesingen und Notzingen bieten die Schlierbacher mittlerweile 27 Kurse in Kooperation an - ein Angebot, das gut angenommen wird. Und auch für den Verein selbst steht auf der kommenden Mitgliederversammlung eine wegweisende wie emotionale Entscheidung an: die Auflösung und der Abbruch der altgedienten „Villa Berg“, als Vereinsheim seit vielen Jahrzehnten ein wichtiges Zentrum des Vereinslebens. Hintergrund ist das Vorhaben der Gemeinde, an dieser Stelle einen Waldkindergarten einzurichten. Wird der Verein also heimatlos? „Wir hoffen natürlich, dass wir dort oben in den nächsten Jahren wieder ein Vereinszentrum aufbauen können“, sagt der Vorstandsvorsitzende. Die Zukunft bleibt also spannend.
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