Weilheim · Lenningen · Umland

Auf den Kopf gestellt

Vom Konsumenten zurück zum Macher: Wie der 3D-Druck Grenzen auflöst

Im Land der Ideen hechelt man beim 3D-Druck heftig hinterher. Doch Claus-Dieter Lange-Schönbeck will zumindest den Kirchheimern das Tor zur ­3D-Welt öffnen: Bei ihm kann jeder die eigenen Ideen in Kunststoff umsetzen lassen. Und alte Muster auf den Kopf stellen.

YOP macht 3D-Selfies in Kirchheim
YOP macht 3D-Selfies in Kirchheim

Kirchheim. Der weiße Kasten trägt ganz langsam, Schicht für Schicht, weißen Kunststoff von einer Rolleauf. Papierdünn ist der Überzug, sodass man ihn mit bloßem Auge kaum erkennt. Er druckt und druckt, der Druckkopf zuckt von einer Ecke in die andere – immer dem selben Muster folgend. Langsam und unscheinbar wächst eine kleine Figur heran. Acht Stunden braucht das Hightech-Gerät, bis die Plastikfrau zu erkennen ist.

„So ein Körper besteht aus zwei Millionen Polyglonen“, erklärt Claus-Dieter Lange-Schönbeck von YOP 3D und zeigt auf seinen Bildschirm. „Das sind ganz kleine Dreiecke.“ Am Computer erstellt er die Datei, die später an den Drucker weitergeleitet wird. Hier und da kann er auch etwas an dem Muster ändern: Accessoires nachträglich anfügen oder technische Stützen einbauen. Für die Plastikfrau stand seine Tochter Modell. Sie musste vier Minuten still stehen, während er um sie herumschlich, von Kopf bis Fuß mit seinem Tablet-PC scannte und ihre Daten mit einer speziellen App aufnahm.

Das Prozedere klingt noch wie frisch aus dem Techniklabor, ist es aber nicht: „Dieses 3D-Druckverfahren gibt es schon seit 23 Jahren“, klärt der Spezialist auf. „Die Industrie hatte die Technik nur für sich geschützt.“ Vor drei Jahren sind die Patente dann abgelaufen und der Startschuss für Eigenwerkler und Kreative ist endlich gefallen. Eine Menge Leute hörten das Signal und sprinteten um die besten Ideen – Künstler, Techniker und Heimwerker aus aller Welt nutzen die Technologie inzwischen, um ihren Vorstellungen Form zu verleihen. In Deutschland aber plätschert die 3D-Entwicklung nach wie vor vor sich hin. Woran das liegt? „Perfektionismus“, mutmaßt Lange-Schönbeck: Beim 0-Fehler-Standard seien die Drucker noch nicht angekommen. Und mangelndem Service: „Keiner kauft sich ein 2 000-Euro-Gerät, wenn er nicht weiß wohin, wenn‘s mal kaputt ist.“ Das will er ändern.

Selbst kommt er aus der Industrie, hat 20 Jahre lang in Firmen gearbeitet, in denen er als Fertigungsleiter schon mit 3D-Druck zu tun hatte. Doch irgendwann hat das Unternehmen den Standort hier geschlossen. Als überzeugter Teckstädter schien es ihm ein Graus, ihr hinterherzuziehen: „Ich wohne doch seit 30 Jahren mit meiner Familie in Kirchheim“, sagt er. Also war der Meister der Elektrotechnik erstmal arbeitslos. Dann kam ihm die Idee mit der Selbstständigkeit. „Für mein Projekt habe ich sogar einen Innovationsbonus für Existenzgründer bekommen“, erzählt der 49-Jährige mit einem Hauch von Stolz in der Stimme – Bezeichnend dafür, wie fern der 3D-Druck noch vom hiesigen Alltag entfernt ist – „In Deutschland bin ich eine Rarität.“

Läden wie der seine sind so rar gesät, dass viele Leute zu ihm kommen und fragen, ob er einen Papierdruck für sie machen kann. „Der Druck ist seit Johannes Gutenberg zweidimensional“, erklärt Lange-Schönbeck die Verwechslung. Eigentlich hat der 3D-Druck trotz Namensverwandtschaft wenig mit dem Laserdrucker von zu Hause gemein. Er hatte lange eine ganz andere Bezeichnung. Die verschiedenen Techniken wurden erst später zu dem umgangssprachlichen Begriff „3D-Druck“ zusammengefasst – klingt eben simpler als „Stereolithografie“, „Fused Deposition Modeling“ oder „Selektives Laserschmelzen“.

So kommt es, dass auf den Plakaten des kleinen Geschäfts inzwischen groß das Wort „3D-Selfies“ prangt. „Immer mehr Menschen haben mich nach den kleinen Figuren gefragt“, erzählt Claus-Dieter Lange-Schönbeck. Ein Drittel seiner Kunden sind jetzt Liebhaber des Selbstporträts, denen die zweite Dimension auf dem Handybildschirm nicht mehr ausreicht. Die Figuren dienen als I-Tüpfelchen für die Hochzeitstorte, Geschenk für die Omi oder Erinnerung an die Schwangerschaft. Außerdem kann er Ersatzteile für Maschinen und Ähnliches reproduzieren. Einige mittelständische Unternehmen im Umland nutzen das Angebot.

Ursprünglich wollte der Techniker den Selfie-Hype gar nicht. Er wollte einen Platz schaffen, an dem Menschen ihre kreativen Ideen gepaart mit seinem technischen Know-how umsetzen können: „Man ist in letzter Zeit in die Konsumentenrolle reingepfercht worden“, bedauert der 49-Jährige. Mit der 3D-Bewegung gebe es jetzt einen Gegenstrom dazu, dem er sich gerne anschließt: Dinge nicht mehr neu kaufen, nur weil ein kleines Teilchen kaputtgegangen ist, kleine Alltagshelfer einfach mal selbst basteln anstatt sie teuer zu kaufen – wieder zum Macher werden. „Man kann den 3D-Druck für sich sehen, oder als Teil einer ganzen Ideologie“, schwärmt Lange-Schönbeck.

Er ist in einem neuen „FabLab“ (kurz für „Fabrication Laboratory“ – Fabrikationslabor) in Wernau aktiv. Diese Werkstätten haben über die Jahre ein globales Netz gesponnen und sind für jedermann offen. Sie ermöglichen den Zugang zu Geräten, die man nicht unbedingt zu Hause stehen hat – 3D-Drucker zum Beispiel. Regelmäßig kommen Leute zusammen, tüfteln an ihren Ideen oder tauschen sich gegenseitig aus. „Grenzen gibt es im 3D-Druck keine“, sagt Lange-Schönbeck – auch wenn das Projekt in Wernau noch am Anfang steht. Im Stuttgarter FabLab sind die Tüftler schon einen Schritt weiter: Dort druckte man sich kurzerhand per 3D-Druck einen neuen 3D-Drucker aus.

Piraterie-Ängste, die mit der neuen Entwicklung verbunden sind, teilt der 49-Jährige nicht: „Erstens ist das doch kein neues Phänomen. Und zweitens ist der 3D-Drucker auch nicht das Wunderwerk, mit dem man plötzlich Dinge herstellen kann – nur eben einfacher“, meint er. „Sobald 3D-Druck weiter verbreitet ist, wird die Industrie darauf reagieren und ihre Baupläne für kleines Geld online zur Verfügung stellen.“ Eine Win-Win-Situation für beide Seiten: Der Kunde spart sich den Weg, das Unternehmen die Logistik. Bis zum aufgepeppten 3D-Drucker fürs Wohnzimmer ist es da nur noch ein Katzensprung: „In 20 Jahren gibt es sicher in einem Drittel der Haushalte so ein Gerät“, prognostiziert er: „Das ist von der Technik, die es schon gibt, gar nicht so weit weg.“

Fotos: Jean-Luc Jacques

YOP macht 3D-Selfies in Kirchheim
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