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„Auf die Knie, Kirchheim!“

Große Emotionen, coole Rap-Einlagen und ein Hauch Marokko in Kirchheim

Namika flirtet mit dem Publikum in der Kirchheimer Kreissparkasse.Foto: Thomas Niedermüller
Namika flirtet mit dem Publikum in der Kirchheimer Kreissparkasse.Foto: Thomas Niedermüller

Kirchheim. Namika wirbelt durch die Luft, klatscht den Rhythmus vor, strahlt ihr Publikum an: Dieses Konzert war ein gelungener Wohlfühl-Abend. In Zusammenarbeit mit Radio Energy hat die Kreissparkasse Kirchheim-Nürtingen am Dienstag 300 Kunden einen exklusiven Abend mit der jungen Pop-Sängerin ermöglicht, die sich 2015 deutschlandweit einen Namen gemacht hat. Ihr Song „Lieblingsmensch“ (mehr als 45 Millionen Klicks auf Youtube) ist Wortschöpfung, Chart-Breaker und Ausdruck eines Lebensgefühls zugleich. Die Karten wurden verlost, der Abend war ein Gewinn für alle, die den ersten Arbeitstag nach Ostern mit Popkultur ausklingen lassen wollten.

Namika (arabisch für „Schreiberin”) ist erst 24, erobert das Publikum aber mit der Lässigkeit eines alten Hasen. Die Deutschmarokkanerin – grauer Schlabberpullover, offenes Haar, zurückhaltendes Make-up – singt sich in die Herzen mit Zeilen wie „Ich glaub‘, mein Konto macht Diät“ und „Es wäre schade um die Nerven (sich aufzuregen), denn die wachsen so schlecht nach.“ Texte, die auf charmante Weise naiv sind und den Zeitgeist der Generation Y zelebrieren.

Doch nicht nur Alltagssorgen verschafft die Strahlefrau in ihren Texten Luft, sie verarbeitet darin auch ihre innere Zerrissenheit: Marokko, die Heimat ihrer Großeltern, Irgendwie-Heimat ihrer Eltern und Namikas ganz persönlicher Sehnsuchtsort ist Thema von „Nador“, dem Song, der so heißt wie die Küstenstadt, die ihre Großeltern Heimat nennen und die ihrem Debütalbum seinen Namen gab.

Namika ist an diesem Abend gut gelaunt, flirtet mit Band und Publikum. „Auf die Knie, Kirchheim!“ – und schon sinken die Köpfe. „Mitsingen, das geht noch besser“ – dünne Mädchenstimmen mischen sich unter tiefe Bassstimmen älterer Herren. Das ist das Schöne an diesem Konzertabend: So bunt gemischt tanzen Menschen selten zusammen ab. Auf Namika kann sich irgendwie jeder einigen: Sie selbst ist süß und intelligent, ihre Texte sind schnell, aber nie aggressiv.

„Danke, dass ihr hier seid, um mit mir mein Album zu feiern!“ – strahlende Namika. Das kann sie gut: Stimmung machen. Eine Stunde trägt ihr Programm; auch eine Zugabe hat die junge Band natürlich in petto. Zweieinhalb Lieder gibt’s obendrauf; den Höhepunkt erreichte sie freilich mit „Lieblingsmensch“, dem Jubel nach das Lieblingslied aller Anwesenden.

Ein Potpourri aus launigem Deutsch-Rap („Stoptaste“), Wohlfühl-Singalong („Lieblingsmensch“) und dem Cover eines ihrer privaten Lieblingssongs („No Diggity“), macht Namikas Abstecher nach Kirchheim gespannt auf das, was folgt. Nach jenem verrückten letzten Jahr, in dem „ich gefühlt von einer Wohnung auf die Autobahn gezogen bin“, wie Namika auf der Bühne scherzt, probiert sie verschiedene Stilrichtungen aus und bleibt dabei immer ihren herrlich ehrlichen Texten treu.

"In Marokko war ich Deutsche"

Konntest du die Feiertage genießen? Was hast du gemacht?

Ja, das konnte ich. Ich war in Holland bei meiner Familie, hatte zwischenzeitlich aber auch einen Termin in Essen, da bin ich kurz rüber und wieder zurück, insgesamt eine schön entspannte Zeit.

 

Ist es für dich was Besonderes, heute vor einem überschaubaren Publikum zu spielen?

So überschaubar ist es gar nicht. Ich finde 300 Leute in eine Sparkasse reinzuquetschen schon eine Leistung. Da bin ich sehr froh drum.

 

Spielst du sonst lieber in großen Hallen oder magst du kleine Bühnen?

Ich hab auf meiner Tour auch schon mal vor 1 800 Leuten gespielt. Das Konzert heute ist etwas intimer, was ich auch cool finde.

 

Woraus schöpfst du die Inspiration für deine Texte?

Aus dem Leben. Ich bringe Geschehnisse, Emotionen, Gedanken, die ich so habe, zu Papier und mache sie zu Musik.

 

Sind das Gedanken, die du schon länger in dir trägst oder aktuelle Befindlichkeiten?

Beides. Da gibt es Gedanken, die ich von klein auf mit mir rumtrage, wie „Nador“, darin geht es um meine kulturelle innere Zerrissenheit, weil meine Eltern aus Marokko kommen, ich aber in Deutschland geboren und aufgewachsen bin und jahrelang nicht wusste, wo ich hingehöre, weil ich in Marokko die Deutsche war und in Deutschland die Marokkanerin. Aber es gibt auch Texte wie „Egal“, da geht es um einen unfassbar schlechten Tag, den man erwischt hat und über den man am Tag darauf einen Song schreibt aus der Perspektive, dass das eigentlich völlig egal war.

 

Was ist deine Beziehung zu deiner zweiten Heimat?

Es ist der Ort, an dem meine Wurzeln liegen, die Heimat meiner Großeltern. Als Kind sah ich darin vor allem einen Urlaubsort, ehe ich begriffen habe: Eigentlich bin ich von hier. Wären meine Großeltern vor knapp 40 Jahren nicht nach Deutschland gekommen, wäre ich wahrscheinlich dort geboren und aufgewachsen, hätte ein ganz anderes Leben und würde anders aussehen.

 

Was ist heute deine erste Assoziation mit Marokko?

Ganz viele Kleinigkeiten. Die salzige Meeresluft, die man riecht, sobald man aus dem Flugzeug aussteigt. Die heiße Meeresluft, genauer gesagt. Die süßen, viereckigen Häuser mit flachen Dächern. Aber auch traurige Szenen, wie man sie in Deutschland eher nicht sieht: Viele Bettler, kleine Kinder, die versuchen, was zwischen die Zähne zu bekommen, indem sie Zigaretten verkaufen, obwohl sie eigentlich in die Schule gehören.

 

Wann warst du das letzte Mal dort?

Als ich die Videos zu „Nador“ und „Lieblingsmensch“ gedreht habe. Vor ziemlich genau einem Jahr also.

 

Wie gehst du damit um, dass du recht schnell ziemlich bekannt geworden bist?

Zum einen ist das für mich eine Riesen-Wertschätzung, dass die Leute meine Musik so annehmen. Dafür bin ich sehr dankbar. Darüber hinaus hab ich mir den Beruf bewusst ausgesucht und weiß, was er so mitbringt. Dass man, wen man bekannter wird, etwas weniger Privatsphäre hat, gehört eben dazu. Bei mir ist das bisher noch in einem angenehmen Rahmen.

 

Hast du auf deiner Platte einen Lieblingssong?

Jeder Song ist wie ein Kind. Und als Mutter hat man auch kein Lieblingskind. Alle Songs haben ihre Berechtigung für mich, jeder Song behandelt eine eigene Thematik und von daher vergleiche ich da nicht.

 

Was macht für dich im Allgemeinen einen guten Song aus?

Ein guter Song ist ehrlich und fängt eine Ebene ein, die mich berührt.

 

Hast du unabhängig von deiner Musik einen Lieblingssong?

Ja, ich habe viele Lieder, die ich unheimlich gerne mag. Aber ich find‘s immer schwierig, mit Superlativen zu arbeiten. Da gibt es viele großartige Artists, die man nicht miteinander vergleichen kann. Ali As finde ich unfassbar. Mit ihm habe ich auch schon zusammengearbeitet.