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Auf Sicht fahren geht nicht

Energieversorgung Im Kraftwerk in Altbach muss sich die EnBW mitten in der Krise für die Zukunft wappnen – ohne zu wissen, wie die tatsächlich aussieht. Von Bernd Köble

So sieht Krisentourismus aus. Am Vormittag treten Landrat Heinz Eininger und Esslingens Oberbürgermeister Matthias Klopfer gemeinsam vor die Presse, um Alarmstufe Rot bei der Unterbringung von Geflüchteten auszurufen. Wenige Stunden später sitzt Eininger mit Mitgliedern des Kreistags im Besucherraum des Kraftwerks in Altbach, um mit Vertretern des Energieversorgers EnBW die Risiken des Gasnotstands und eines möglichen Strom-Blackouts auszuloten.

Alarm ist auch hier. Seit dem 23. Juni und auch ganz offiziell. An diesem Tag ist der Kraftwerksbetreiber von der Frühwarnstufe in die Alarmstufe gewechselt. Andreas Mühlig, Leiter des Geschäftsbereichs Erzeugung und Betrieb bei der EnBW, beschreibt die Gründe, auch wenn er das eigentlich gar nicht bräuchte, denn jeder kennt sie: die Gasmangellage durch den Krieg in der Ukraine, seit Januar 2021 hat sich der Preis am Markt verzwölffacht. Gleichzeitig legt der wichtigste Brennstoff im Altbacher Werk inzwischen deutlich weitere Wege zurück: Der russische Teil der Steinkohle kommt jetzt unter anderem aus Kolumbien und Australien. Bis 31. März 2024 gilt das Gesetz zur Bereithaltung von Ersatzkraftwerken, mit dem die Bundesregierung auf die Notlage reagiert hat – vorerst. In anderen Worten: Das Verbrennen von klimaschädlicher Kohle zur Stromerzeugung bleibt mehr denn je ein Thema. Für Altbach bedeutet das, es braucht jetzt eine zusätzliche Lagerstätte für rund 28 000 Tonnen Steinkohle, die per Bahn oder Schiff geliefert werden. Das temporäre Notlager soll außerhalb des Kraftwerksgeländes und mitten im Landschaftsschutzgebiet Platz finden. Eine Herausforderung auch für die Kreisverwaltung, die für das Genehmigungsverfahren zuständig wäre, solange nicht das Regierungspräsidium die Sache an sich reißt. Im Moment wird das geklärt. Was jetzt schon klar ist: Es muss schnell gehen.

Tempo ist ein Problem, mit dem die Energiewirtschaft mitten im Transformationsprozess mitunter so sehr zu kämpfen hat wie mit der augenblicklichen Versorgungsnot. Bis 2026 will die EnBW im Kraftwerk Altbach Kohle durch Gas ersetzen. Ab 2035 soll sich die Produktion schließlich ganz auf grünen Wasserstoff stützen. Beide Zeitlinien sind – Stand heute – allerdings völlig unscharf. Beim Gas ist es die weltpolitische Lage, die jede Prognose erschwert. Bei grünem Wasserstoff stützt sich die Hoffnung allein auf die Annahme, dass es die Nachfrage am Markt bis dahin richten wird. Kurzfris­tige Kurswechsel? Unmöglich. Man habe Genehmigungsverfahren erlebt, die sechs Jahre und länger gedauert hätten und während der sich technisch ein Generationensprung vollzogen hätte, unterstreicht Andreas Mühlig das Problem. „Wir leisten unseren Beitrag“, sagt der Bereichsleiter. „Aber Politik und Behörden müssen es auch.“ Das gilt nicht nur für den Bau neuer Anlagen, sondern auch für zentrale Stromtrassen wie „Suedlink“, die grüne Energie vom Norden, wo auch die EnBW kräftig in Windparks inves­tiert, in den Süden leiten soll. Was die Energieziele der Bundesregierung betrifft, bleibt Mühlig, vorsichtig gesprochen, skeptisch. Für ihn ist klar: Konventionelle Kraftwerke für den regelbaren Betrieb wird es auch weiterhin brauchen, um das Netz stabil zu halten. Für Leistungsspitzen, aber auch dann, wenn die Sonne nicht scheint und kein Wind bläst. „Sämtliche Batteriespeicher dieser Welt zusammengenommen würden Deutschland zehn Stunden mit Strom versorgen,“ verdeutlicht er an einem Beispiel. 

Den Faktor Zeit als Gegner kennt auch Diana van den Bergh. Die Wirtschaftsingenieurin und Projektleiterin begleitet im Moment den geplanten Bau der neuen Gas- und Dampfturbinenanlage, die in Altbach ab 2026 für geschätzte 500 Millionen Euro die Kohleverstromung ersetzen und das Kraftwerk zukunftsfähig machen soll. Hier wie bei allen anderen Projekten gilt: Kurs halten. „Alles andere“, meint van den Bergh, „bekämen wir zeitlich nie mehr eingefangen.“ Mit einer Leistung von 680 Megawatt Strom und rund 180 Megawatt thermischer Leistung für das Fernwärmenetz wäre dieses neue Heizkraftwerk, das im kommenden Frühjahr an den Baustart gehen soll, ein annähernd gleichwertiger Ersatz für die beiden bestehenden Kohle­blöcke. Mit der Umstellung auf Erdgas würde der Ausstoß an Treibhausgasen mehr als halbiert. Gleichzeitig ist die Technik in der Lage, auch Wasserstoff zu nutzen – in einer Übergangsphase auch als Gasgemisch. Van den Bergh nennt das „H2 ready“.


Fernwärme für das Neckartal

Das Kraftwerk Altbach/Deizisau erzeugt mehr als 800 Megawatt Strom für die Versorgung von rund 300 000 Haushalten in der Region. Mittels Kraft-Wärme-Kopplung werden zudem Privathaushalte und Industriebetriebe im Neckartal zwischen Plochingen und Stuttgart mit bis zu 280 Megawatt als Fernwärme versorgt.
Block 1 ging bereits 1985 ans Netz und dient heute als Notreserve. Block 2 ist seit 1997 in Betrieb und soll mit Fertigstellung der Gas- ​​​​​​​und Dampfturbinenanlage 20​​​​​​​26 ebenfalls stillgelegt ​​​​​​​werden​​​​​​​. ​​​​​​​Im Moment sorgen vier zusätzliche Gasturbinen für Versorgungssicherheit. bk