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Auf zu neuen Ufern

Reise Wolfgang und Anita Scholz haben ihre Wohnung gegen einen Wohnwagen getauscht. Seither ziehen der einstige DGB-Kreisvorsitzende und seine Frau durch Europa. Von Antje Dörr

Schöne Aussichten: Wolfgang Scholz vor seinem Wohnwagen in Funäsdalen, Nordschweden. Foto: privat
Schöne Aussichten: Wolfgang Scholz vor seinem Wohnwagen in Funäsdalen, Nordschweden. Foto: privat

Alles verkaufen und dorthin fahren, wo die Sonne scheint: Davon träumen viele Menschen, die das Ende ihres Arbeitslebens herbeisehnen.

Wolfgang und Anita Scholz leben diesen Traum. Seit Mai 2017 sind die beiden Kirchheimer „on the road“. „Es war klar, dass wir mit Rentenbeginn etwas anderes machen wollen“, sagt Wolfgang Scholz im Rückblick. Der Zeitpunkt für den Tapetenwechsel hätte nicht günstiger sein können: Bei Scholz‘ Arbeitgeber, einem Kfz-Zulieferer in Altbach, waren zum Jahresende 2016 endgültig die Lichter ausgegangen - bitter für den leidenschaftlichen Gewerkschafter, der als Betriebsratsvorsitzender vergeblich für den Erhalt des Unternehmens gekämpft hatte. Anita Scholz, die als Sekretärin beim Betriebsärztlichen Dienst der Kreiskliniken angestellt gewesen war, zieht es ebenfalls in die Ferne.

Die beiden entscheiden sich gegen ein Wohnmobil und wählen einen Wohnwagen, den sie auf den Campingplätzen stehen lassen können. Sieben Meter lang ist er, und hinein passen zwei Einzelbetten und - ganz wichtig - ein großer Kühlschrank. Wolfgang Scholz ist passionierter Koch. Dann geht‘s ans Eingemachte: Die Kirchheimer Wohnung wird gekündigt und aufgelöst, ein Teil des Besitzes verschenkt, der Rest in Wolfgang Scholz‘ Elternhaus nach Bretten im Schwarzwald gebracht, dem neuen festen Wohnsitz der beiden.

 

Foto: privat

Anita Scholz will als erstes nach Spanien. Aber weil die Wohnung erst Ende März geräumt ist und es im Sommer im Süden zu heiß ist, ändern die beiden ihre Reiseplanung und brechen Richtung Baltikum auf. Mit dem Gespann geht‘s los nach Norddeutschland, und dann mit der Fähre von Kiel nach Klaipeda. Bei der Ankunft in Litauen muss Anita Scholz ihre erste Mutprobe bewältigen: Rückwärts runter von der Fähre. Unentspannter könnte der erste Rückwärts-Fahrversuch kaum sein. Es wird nicht die letzte Zitterpartie sein. „Unser Navi ist so eingestellt, dass es den kürzesten Weg sucht, egal wie eng die Straßen sind“, sagt Wolfgang Scholz. So lotst das Navigationsgerät Anita Scholz mitten durch die enge Altstadt von Vilnius in Litauen. Und lässt sie bibbern, dass sie in keine Sackgasse fährt. Die beiden „Landstreicher“, wie sie sich in ihrem Reise-Blog nennen, besuchen viele Städte auf dem Baltikum, suchen aber im Honigtal oder im Gauja-Tal immer wieder Ruhe und Natur. Sie studieren Plakate, um herauszufinden, wo sie einer ihrer Leidenschaften nachgehen können: Dem „Tango Argentino“. Gar nicht so einfach, wenn die Sprachkenntnisse so beschränkt sind.

DGB-Fahne am Nordkap

Wolfgang und Anita Scholz bereisen anschließend ganz Skandinavien: In Ost-Karelien (Finnland) schwitzen sie in der Sauna - streng getrennt nach Geschlecht, versteht sich. Am Nordkap (Norwegen) hissen sie, wie bei der Abschiedsparty in Kirchheim versprochen, die DGB-Fahne. Auf der Suche nach interessanten Orten lassen sich die beiden von Romanen leiten, die sie auf dem E-Book-Reader mit dabei haben. Nach Haparanda in Schweden fahren die beiden beispielsweise nur aufgrund des Romans „Heimatmuseum“ von Siegfried Lenz über die deutschstämmigen Masuren. Warum es die drei Jugendlichen in Lenz‘ Roman auf der Flucht vor den Faschisten ausgerechnet in dieses verschlafene Städtchen verschlägt, können die beiden Reisenden allerdings nicht wirklich nachvollziehen. „Dort war wirklich überhaupt nichts los“, sagt Scholz.

Obwohl Wolfgang und Anita Scholz ihrem gewerkschaftlichen Engagement in Kirchheim - er bei der IG Metall, sie bei Verdi - zeitweise den Rücken gekehrt haben, schlägt ihr Herz auch auf der Reise links. Die beiden meiden alle Länder, deren Regierungen sie nicht unterstützen wollen: Polen und Italien zum Beispiel. „Wenn es Demonstrationen in unserem Sinne gab, waren wir mit dabei“, sagt Anita Scholz und nennt den Frauentag in Spanien.

Auch die deutsche Geschichte verfolgt die beiden auf Schritt und Tritt. „In jedem Land, in dem wir waren, gab es Gedenkorte, die an die Gräueltaten der deutschen Wehrmacht erinnerten“, sagt Wolfgang Scholz. „Das war beschämend.“

 

Herr und Frau Scholz Wohnwagen Ruhestand
Foto: privat

Als sich der Sommer zu Ende neigt, geht es für das Ehepaar Richtung Süden. Nach einem kurzen Heimaturlaub reisen die beiden über Besancon und Bordeaux nach Spanien. In Cartagena, im Südosten der iberischen Halbinsel, schlagen sie ihr Winterlager auf - aus gutem Grund: Cartagena liegt an einer tiefen Bucht der Costa Cálida, auf deutsch „warme Küste“, direkt am Mittelmeer. Milde Temperaturen von 15 bis 20 Grad den ganzen Winter hindurch machen aus Cartagena ein Mekka für Rentner, die in ihrem Wohnwagen die kalte Jahreszeit im Norden überbrücken. „Dort haben wir einen Campingplatz mit schönem Sandstrand gefunden“, sagt Wolfgang Scholz. Ganz wichtig: Es ist ein Nackt-Campingplatz. Der Sprung ins 14 bis 19 Grad kalte Wasser ist somit jederzeit möglich.

Ende März brechen Wolfgang und Anita Scholz wieder Richtung Norden auf. Über Granada, Malaga, Sevilla und Pamplona reisen sie zunächst nach Frankreich, wo sie in Paris an der 1. Mai-Kundgebung teilnehmen. Im Mai steht Wolfgang Scholz‘ Knie-Operation an, den Sommer über verbringt das Paar also gezwungenermaßen in Deutschland. Im September soll‘s wieder zurück auf die Straße gehen: über Nordspanien, den Jakobsweg und Portugal zurück in den ewigen Sommer nach Cartagena. Rückkehr? Ungewiss.

Blog Mehr Informationen zur Reise von Wolfgang und Anita Scholz gibt es auf der Internetseite www.zwei-landstreicher.de.