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Bauern, Bashing und Bilanzen

Gesellschaft Im Streit um die richtige und falsche Landwirtschaft sehen sich viele Bauern zu Unrecht an den ­Pranger gestellt. Bei der umstrittenen Anbindehaltung gehen die Zahlen deutlich zurück. Von Daniela Haußmann

Mörder, Tierquäler, Giftspritzer – die Liste der Beleidigungen gegen Landwirte ist lang. Doch der Streit um die richtige und falsche Landwirtschaft macht auch vor dem Nachwuchs nicht halt. Tierrechtler hingegen werfen Agrarverbänden vor, Berichte über Mobbing an Bauernkindern für ihre Lobbyarbeit zu missbrauchen. In Wirklichkeit würden Kinder von Landwirten ähnlich häufig Opfer wie die Kinder anderer Eltern. Belastbare Zahlen gibt es nicht. Die sind für Annette Schmid auch nicht entscheidend. Wichtig ist der Milchbäuerin aus Ochsenwang ein Dialog auf Augenhöhe. Denn ständig an den Pranger gestellt zu werden, sei eine massive Motivationsbremse.

Kinder werden beleidigt

Das erleben ihre Kinder mit: „Denn im Internet oder in der Schule wird man mit beleidigenden Kommentaren, falschen Behauptungen oder verletzenden Nachrichten konfrontiert.“ Trotzdem zeigen Umfragen, dass der Beruf in der Gesellschaft noch Ansehen genießt. Schmid sieht aber die Gefahr, dass in vielen Bauernfamilien beim Nachwuchs die Bereitschaft, den Hof zu übernehmen, sinkt: „Natürlich spielen dabei auch Faktoren wie hoher Arbeitsaufwand oder die unsichere Wirtschaftlichkeit eine Rolle, doch die wachsende gesellschaftliche Kritik verschärft das Problem.“ Die Zahl kleiner und mittlerer Viehhalter-Betriebe sinke tendenziell weiter, während die Tierbestände pro Betrieb wachsen würden. Um am Markt bei meist niedrigem Preisniveau bestehen zu können, gilt laut Statistischem Landesamt der Grundsatz des Wachstums. Nach Angaben der Statistiker gab es 2010 im Südwesten nur neun Betriebe mit einer Milchkuhherde von über 200 Tieren – 10 Jahre später waren es fast 100. „Ein Trend, der“, in Schmids Augen, „dazu führt, dass die Betriebe verschwinden, in denen der Halter noch einen Bezug zur einzelne Kuh hat.“

Viele Verbraucher wünschen sich Milchkühe auf der Weide. Diese Haltung ist nach wie vor in traditionellen Kleinbeständen mit bis zu 15 Milchkühen üblich, erklärt Dr. Ulrich Jaudas, Agraringenieur aus Schlattstall: „Von November bis März sind die Tiere im Stall angebunden und den Rest des Jahres gehen sie auf die Weide.“ Natürlich gebe es auch noch eine ganzjährige Anbindehaltung, aber die sei ein Auslaufmodell. Neue Milchkuhställe würden ausschließlich als Laufställe gebaut. Werden die Viehbestände unter betriebswirtschaftlichem Druck immer größer und überschreiten die Größenordnung von 100 und mehr Milchkühen, wird es immer schwieriger, den regelmäßig anfallenden Weg zu den Weiden und zurück zum zentralen Melkstand zu organisieren, so Jaudas. Dafür seinen genügend zusammenhängende, gut erreichbare Weideflächen nötig. Laut dem Fachmann verfügen viele Betriebe unter anderem wegen der Realteilung nicht über solche idealen Grünlandflächen: „Deshalb müsse in vielen großen Milchkuhbeständen die Bewegung im Auslauf in Stallnähe den Gang zur zu weit entfernten Weide ersetzen.“

Zahlen des Statistischen Landesamtes untermauern, dass die Anbindehaltung ein Auslaufmodell ist: Von 2010 bis 2020 ist die Zahl der Plätze in Deutschland um 62 Prozent zurückgegangen. Verantwortlich für den Trend ist für Jaudas unter anderem, dass viele Molkereien Milch aus dieser Haltungsform künftig nicht mehr abnehmen wollen. Betroffen davon seien leider auch die erwähnten Weidebetriebe, zum Beispiel im Berggebiet des Schwarzwaldes, in denen es den Kühen eigentlich gut gehe. „Außerdem ist die Anbindung aus Sicht vieler Junglandwirte nicht mehr zeitgemäß“, so Ulrich Jaudas. „In der Landwirtschaft ist es wie in anderen Branchen: Mit dem Generationenwechsel halten neue Vorstellungen, Konzepte und Ansprüche an das Tierwohl und die Wirtschaftsweise Einzug.“

Annette Schmid gibt zu bedenken, dass nur Wiederkäuer, wie zum Beispiel Rinder, das Grünland verwerten und damit für die menschliche Ernährung in Form von Milch und Fleisch nutzbar machen können. „Ohne diese Betriebe würde dieser Teil der Landschaft genau wie viele Obstwiesen langsam einen Biotopwechsel hin zum Wald vollziehen“, sagt sie. „Nirgendwo gibt es ein so breites Biotop- und Artenspektrum wie im Offenland.“ Ohne Betriebe wie ihren könne der Naturschutz dieses breite Spektrum gar nicht erhalten. Sie sei bereit, ökologisch umzustellen. Aber dafür müsse die Politik die Voraussetzungen schaffen. „Das Einkommen muss stimmen und Anstrengungen, die über gesetzliche Mindeststandards hinausgehen, müssen honoriert werden“, bilanziert Schmid.

 

Drei Fragen an Andreas Schmid, Milchbauer aus Ochsenwang

1.Was ist der Zweck von Agrarsubventionen?

Die heimischen Landwirte erhalten Subventionen, um überhaupt wettbewerbsfähig zu sein. Agrarprodukte aus der EU, etwa Milcherzeugnisse, sind ohne Export-Zuschuss international nicht konkurrenzfähig. Das gilt auch gegenüber ausländischen Import-Produkten, die zu deutlich schlechteren Standards hergestellt werden und trotzdem hier auf den Markt kommen.

2.Kommen die Milliarden bei den Bauern an?

Bezogen auf unseren Milchviehbetrieb profitieren von den Geldern erst einmal die Molkereien und ­Lebensmittelkonzerne. Der Gedanke dahinter: Die Landwirte kriegen mehr Geld für die Milch, weil Großunternehmen mehr absetzen. In der Praxis kommt bei den Bauern aber nur ein Bruchteil an, weil nur wenig der Subventionen durchgereicht werden.

3. Ändert der New Green Deal der EU etwas daran?

Die europäische Agrarwirtschaft soll mit dem Deal radikal ökologisch umgebaut werden. Aber billigere Agrarprodukte, die unter deutlich schlechteren Standards erzeugt wurden, dürfen trotzdem weiter importiert werden. Aus meiner Sicht ­widerspricht sich das. Und tenden­ziell büßen heimische Bauern weiter an Wettbewerbsfähigkeit ein. dh