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Bedingungsloses Grundeinkommen: Wie 1000 Euro das Leben verändern

Lebensplanung Eine Wendlingerin gewinnt in einer Verlosung ein bedingungsloses Grundeinkommen für ein Jahr. Um sich zur Ruhe zu setzen, reicht das nicht. Für einen beruflichen Neustart schon. Von Marion Brucker

Tatjana Eisen blättert durch das Fotoalbum von ihrem diesjährigen Pfingsturlaub in der Türkei. Sie hat es sich dazu auf ihrem neuen anthrazitfarbenen Sofa bequem gemacht. Beides – Urlaub und Sofa – hat sich die 40-jährige Wendlingerin mit ihrer Familie geleistet, ohne viel rechnen zu müssen. Ermöglicht hat ihr das ein bedingungsloses monatliches Grundeinkommen, das Eisen im April 2021 bei einer Verlosung des Vereins „Mein Grundeinkommen“ gewonnen hatte.

Eisen hat das Geld wie viele andere Gewinner genutzt. „Es wird einfach ausgegeben, investiert, gespart oder an Dritte weitergegeben“, berichtet Christina Strohm von dem gemeinnützigen Verein. Die 31-Jährige hat schon mit vielen Gewinnerinnen und Gewinnern gesprochen. Darunter sind Menschen, die in prekären Situationen leben ebenso wie Besserverdienende, Studenten, die das Geld als Dankeschön an ihre Eltern weitergeben, Kinder von zwei Monaten ebenso wie Hochbetagte. Der erste Gewinner 2014 war ein Mann, Gewinner Nummer fünf eine Familie und der zwölfjährige Robin das erste Kind. „Er war eine richtige Leseratte und hat von dem Geld jeden Monat ein neues Buch bekommen und angefangen, Bogenschießen zu lernen“, erinnert sich Strohm. Damals hätten viele noch nie etwas von dem Verein und dem bedingungslosen Grundeinkommen gehört; heutzutage sei dies anders. Viele kennen ihrer Meinung nach ihre Organisation.

Reportage war der Auslöser

Eisen hatte gleich zur Gründungszeit des Vereins über eine Fernsehsendung vom bedingungslosen Grundeinkommen erfahren. Nach der Reportage hat sie ihr Handy gezückt und sich auf dem Online-Portal für die Verlosung registriert. Ihren Mann konnte sie damals nicht davon überzeugen, dies auch zu tun. Zwölfmal monatlich sollte der Gewinner jeweils 1000 Euro bekommen. Ohne Wenn und Aber. Ihr Mann habe nicht daran geglaubt, dass sie je gewinnen würde. „Für ihn war es nicht so wichtig“, erzählt Eisen. Bereitwillig habe sie auch den Bogen ausgefüllt, was sie im Falle eines Gewinns machen würde. Für Reisen wollte sie ihn verwenden und die Wohnung renovieren, die damals gerade anstand. Dafür hätte die Familie das Geld gut brauchen können.

Eisen arbeitete zu dieser Zeit noch in ihrem gelernten Beruf als zahnmedizinische Fachangestellte in einer Praxis. Sie erzählte ihrer Chefin von der Idee. Diese war skeptisch, weil sie befürchtete, die Menschen würden dann weniger arbeiten oder gar nicht mehr arbeiten wollen. Eisen selbst vermutet, die Lebenshaltungskosten und Mieten würden nach oben gehen, wenn jeder ein Grundeinkommen bezöge. „Dann hätte ich nichts mehr davon“, meint sie. Deshalb sollte die Zahlung ihrer Meinung nach begrenzt sein. Tatjana Eisen wartete schließlich Jahre auf ihren Gewinn. Die Wohnung war längst renoviert und die Wendlingerin arbeitete mittlerweile nicht mehr in der Zahnarztpraxis. Sie hatte sich beruflich zwar verändert, war aber nicht recht glücklich mit ihrer neuen Stelle. Weiterhin nahm sie an der Verlosung teil. Die Teilnahme-E-Mail wurde für sie zur Routine. „Ich nahm daran teil und habe dann nicht mehr daran gedacht“, sagt sie. Aber sie animierte eine Kollegin dazu, sich ebenfalls anzumelden. Diese sollte ihre Glücksfee werden. Sie lud sie als Freundin auf die eigene Losnummer ein. So können mehrere Menschen gleichzeitig gewinnen.

An den Tag, als sie die Mitteilung über den Gewinn erhielt, erinnert sich die zweifache Mutter noch ganz genau: „So habe ich noch nie im Leben reagiert. Man hat Kinder bekommen, geheiratet. In dem Moment war der Gewinn total aus dem Nichts“, sagt sie und fügt hinzu: „Ich habe eine halbe Stunde gleichzeitig gelacht und geweint.“ Ihre Kinder hätten dann ihren Mann angerufen und gesagt: „Es ist irgendwas passiert. Die Mama hat ganz viel Geld gewonnen.“ Ihr Mann habe an Urlaubsgeld oder Sonderzahlung gedacht und, als er mit ihr selbst gesprochen habe, gemeint: Er glaube es erst, wenn das Geld auf dem Konto sei. Gespannt wartete die Familie, ob die 1000 Euro auch tatsächlich eintreffen würden. „Es war schon eine aufregende Zeit“, sagt sie.

Eisen traute sich, aus ihrem Job auszusteigen. „Vielleicht hätte ich es nicht so schnell getan“, sagt sie, wenn sie das bedingungslose Grundeinkommen nicht gewonnen hätte. „1000 Euro sind schon eine gewisse Absicherung“, fügt sie hinzu. Sie traute sich den Stellenwechsel zu, der mit einer Schulung verbunden war.

Das Geld gebe Sicherheit und Freiheit, meint Strohm. Es sei eine Motivationshilfe, ohne Existenzsorgen den Weg zu gehen, den man sich selbst vorstelle. Die Menschen hätten das Gefühl: „Alle Türen stehen einem offen. Das höre ich oft“, sagt sie. Eisen jedenfalls meint: „Es hat mir die Freiheit gelassen in Hinsicht auf den Berufswechsel.“ Und man sei entspannter bei der Urlaubsplanung gewesen und habe nicht gedacht, hoffentlich ist auch ein Urlaub drin.

„Es war ein schönes Bonbole“, meint Eisen. Ihren Mann konnte sie durch den Gewinn überzeugen, an den Verlosungen teilzunehmen. Und Eisen hat nach ihrem Glück auch schon für das bedingungslose Grundeinkommen gespendet. Damit auch andere die Chance haben, es zu bekommen.

 

Bedingungsloses Grundeinkommen

Die gemeinnützige Nicht-Regierungsorganistion „Mein Grundeinkommen“wurde im Jahre 2014 von Michal Bohmeyer gegründet. Sie hat inzwischen 40 hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Mein Grundeinkommen verlost am 11. Januar 2023 das 1340ste bedingungslose Grundeinkommen. Mit Hilfe von Crowdfunding werden Spenden gesammelt. Sobald 12 000 Euro zusammen gekommen sind, werden diese als einjähriges Bedingungsloses Grundeinkommen von 1000 Euro pro Monat verlost Es wird immer am 28. des aktuellen Monats in Auftrag gegeben, damit es am 1. des Folgemonats bei den Gewinnern eingeht.

322 450 Menschen haben bislang gespendet und sich mehr als drei Millionen registriert, darunter rund 400 000 Kinder. Kinder unter 14 Jahren, nehmen über das Profil der Eltern teil. Durchschnittlich beteiligen sich 1,2 Millionen Menschen an den Verlosungen.

Parallel zu den monatlichen Verlosungen untersucht die Organisation in Kooperation mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), der Universität zu Köln und der Wirtschaftsuniversität Wien den eigenen Angaben zufolge in der weltweit ersten zivilgesellschaftlichen Langzeitstudie das bedingungslose Grundeinkommen nach wissenschaftlichen Standards.

122 ausgewählte Personen erhalten in dieser Studie seit Juli 2021 drei Jahre lang monatlich Geld. Insgesamt nehmen 1500 Menschen an der Studie teil. Es soll ermittelt werden, wie sich das bedingungslose Grundeinkommen auf das Leben der Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer auswirkt. mar