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Beim „Live-Hacking“ wird’s still

Prävention 50 „Digi Camps“ gibt es bundesweit pro Jahr. Die Jakob-Friedrich-Schöllkopf-Schule hat sich beworben und den Zuschlag für drei spannende Unterrichtstage bekommen. Von Peter Dietrich

Voll bei der Sache: Die Schüler komponieren auf dem Tablet eigene Songs.Foto: Peter Dietrich
Voll bei der Sache: Die Schüler komponieren auf dem Tablet eigene Songs. Foto: Peter Dietrich

Zuerst die Entwarnung: Hinter dem „Digi Camp“ stehen keine IT-Firmen, die Schüler hintenherum für ihre Produkte begeistern wollen. Hinter dem Projekt steht das Bonner Start-up-Unternehmen BG3000, Partner sind die Barmer Krankenkasse und der TÜV Rheinland. Die Referenten und Workshopleiter sind keine Lehrer, sondern Fachleute und Praktiker wie Medienpädagogen, Suchtberater, Sportler und Hacker.

Hacker? Ja, damit ging es in der Jakob-Friedrich-Schöllkopf-Schule gleich am ersten Tag nach der Einführung los. Beim „Live-Hacking“ zeigte Chris Wojzechowski, wie leicht sich einfache Passwörter knacken lassen, wie leicht man bei einem Anruf die Nummer der Polizei aufs Display zaubert und wie gefährlich es ist, ein Foto von einem Flugticket zu posten: Jemand könnte die Daten stehlen, stattdessen selbst fliegen oder zumindest die Bonusmeilen klauen. „Da war es mucksmäuschenstill“, sagt Katharina Geilmann von BG3000.

„Das Thema wird immer wichtiger“, sagte Heidi Schmidgall von der Barmer in Esslingen zu digitalem Stress und digitaler Sucht. Sie hat selbst zwei Jugendliche in der Familie, die mehr am Smartphone hängen, als ihr lieb ist. So begrüßt sie, dass die Barmer in die Projektfinanzierung eingestiegen ist. Neben den bundesweit 50 dreitägigen „Digi Camps“ für Schüler pro Jahr gibt es 50 eintägige „Digi Camps“ für Lehrer.

Bei den Kirchheimer Schülern ging es am ersten Tag um die Grundlagen - und dazu gehört die Selbstreflektion. Wie erkenne ich Internetsucht, bin ich selbst schon betroffen? Spüre ich den Druck, in der WhatsApp-Gruppe, sofort antworten zu müssen?

Es ging auch um den Mangel an Bewegung, um die falsche Körperhaltung, um das augenschädliche zu lange Starren auf das Display. Ein Fünf-Minuten-Fitnessprogramm hilft, mit Aufstehen, Laufen, den Kopf drehen. Das ist nötig, denn: „Der Pausenhof wird immer leerer“, sagt die Präventionslehrerin Carolin Lamparter, die das „Digi Camp“ nach Kirchheim geholt hat. Die Schüler unterhalten sich in den Pausen auch nicht, sie öffnen die Fenster nicht, tippen nur auf ihren Geräten herum.

Es ging am ersten Tag auch darum, wie das Internet die Ernährung beeinflusst. „Vegan ist auf Instagram mega in“, sagt Heidi Schmidgall. Dass Influencer für ihre scheinbar persönliche Meinung Geld bekommen, wissen die Schüler nicht. Fotos im Netz bestimmen das Körperbild. Eine weitere Einheit dreht sich um Sicherheit und Respekt, es ging dabei um Datenmissbrauch, Mobbing, Fake News und Gebührenfallen.

Die 130 Schüler kamen aus den fünf Eingangsklassen der Wirtschaftsschule und des Berufskollegs, brachten also ganz unterschiedliche Voraussetzungen mit. An den nächsten beiden Tagen folgte die Praxis: Jeder Schüler durfte aus sechs Workshops zwei auswählen. Am gefragtesten war Instagram, das kannten die Schüler. Bei „Music in the Box“ spielten die Schüler ein eigenes Lied ein, ganz ohne Instrumente, lediglich mit Tablet, Apps und Loops. Powerpoint war gestern: Wie sich Präsentationen modern gestalten lassen, wurde mit „Prezi“ erprobt. Die Schüler wählten dabei Themen wie „Budapest“ und „Australien“. Durch die Baumstruktur lässt sich eine Präsentation flexibel gestalten, es gibt kein peinliches Überblättern von Seiten mehr.

Ganz beachtlich waren die kleinen Filme, die die Schüler im iPad-Workshop in kurzer Zeit erstellten, etwa zum Thema Mobbing. Ein Schüler kombinierte in einem kleinen Projekt die Inhalte von gleich drei Workshops: Im Journalismus-Workshop mit einer Redakteurin des Mannheimer Morgen schrieb er einen Zeitungstext für Jugendliche um, versah diesen mit einem Foto, das er, wie in „Smart Photography“ gelernt, mit einer Schrift ergänzt hatte und lud das Ergebnis dann auf Instagram hoch. Manche Schüler überlegten sich noch Hashtags für ihre Texte, andere widersprachen: „Hashtags sind out“, sagte ein Schüler voller Überzeugung.

Manche Trends sind eben kurzlebig. Hoffentlich, auch „forever alone“: Zehn Leute gründen eine WhatsApp-Gruppe, kurz drauf treten fast alle wieder aus - bis auf den einen, der von dem abgekarteten Spiel keine Ahnung hat. Wer diese üble Masche kennt, kann sie zumindest besser einordnen.

Zehn „Digi-Fit“-Gebote

Diese Gebote zum gesunden Umgang mit digitaler Technik und sozialen Netzwerken haben sich die 130 Schüler aus fünf unterschiedlichen Klassen an der Jakob-Friedrich-Schöllkopf-Schule in Kirchheim selbst gegeben:

Gib nicht zu viel preis in den sozialen Medien.

Ernähre dich ausgewogen.

Benutze komplizierte und verschiedene Passwörter.

Mach Sport im Alltag.

Trink viel Wasser.

Lass dich nicht von Werbung im Netz beeinflussen.

Achte auf die Zeiten, in denen du online bist.

Stelle dein Handy nachts auf Flugmodus.

Verbreite keinen „Hate“ im Netz

Schlaf genug. pd